Edelstein- und Schmuckindustrie Idar-Obersteins

Anfänge der Edelsteinindustrie

Panorama Idar-Obersteins[Bild: Wikipedia-Nutzer Rkal [CC BY-SA 3.0]]

Für das Jahr 1454 sind erste Achatfunde in der damaligen Grafschaft Oberstein belegt. Dem aufkommenden Handwerk des Achatschleifens trug aber erst Philipp Franz von Daun 1609 mit Erlass einer Zunftordnung für die Schleifer seiner Herrschaft Rechnung. Ende des 17. Jahrhunderts verlagerten die Achatschleifer ihre Tätigkeit „vom Obersteiner Nahegebiet auf das Idarbachgebiet“.[Anm. 1] Grund hierfür war die für das Schleiferhandwerk notwendige steile Wasserführung, denn durch die regelmäßigen Überschwemmungen der Idar wurden die Schleifmühlen angetrieben.

Das Zusammenwirken des Schleifer- und Goldschmiedehandwerks

Neben dem Achatschleifer kam auch der Beruf des Goldschmiedes auf, der 1745 eine Zunftordnung erhielt und als Auftraggeber für das vorher entstandene Schleiferhandwerk wirkte. Zu diesem Zeitpunkt waren Idar und Oberstein noch getrennte Orte. Während die Idarer vor allem Achate schliffen, zählten die Obersteiner meist zu den auch Handel treibenden Goldschmieden.[Anm. 2] Das Ende des 18. Jahrhunderts markierte für die Region gleich in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur. 1789 wurde die Gewerbefreiheit eingeführt und viele Goldschmiede verlegten ihren Sitz hierher.[Anm. 3] Allerdings gingen mit den Jahren die örtlichen Edelsteinfunde zurück. Dass das Gewerbe dennoch nicht zum Erliegen kam, lag an deutschen Auswanderern, welche in Brasilien große Achatvorkommen entdeckten und Rohsteine in die Heimat schickten.[Anm. 4]

Das Edelsteingraveurgewerbe

Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 siedelten sich aus Frankreich ausgewiesene Graveure und Gemmenschneider wieder in Deutschland an. Ihr Handwerk war mit der Achatschleiferei nicht zu vergleichen, denn sie verarbeiteten die bereits vorgefertigten Edelsteine zu kunstvollen Schmuckstücken weiter. Die in Idar-Oberstein neu angesiedelten Handwerksberufe lassen sich durchaus als Nachfolger einer „Pariser Schule“[Anm. 5] bezeichnen. Diese bedienten unter anderem den europäischen Bedarf an damals hochmodernen, erhaben geschliffenen Steinen, sogenannten Kameen. Allerdings hielt die bestehende Mode nur bis 1890 an und die darauf spezialisierten Handwerker fanden oft ein zweites Standbein im Saarbergbau und der Eisenbahn.[Anm. 6]

Mit dem Edelsteingraveurgewerbe eröffneten sich auch neue Möglichkeiten der Steinbearbeitung. Insbesondere der deutsch-russische Goldschmied Carl Fabergé half diese zu verwirklichen. Denn auf seine Aufträge hin haben Idar-Obersteiner Graveure Sägemaschinen und Karbonschleifer verwendet, welche erstmals das Herausarbeiten figürlicher Formen ermöglichten. In der Folge entstanden Wappen, Monogramme und kleine Skulpturen. Heute finden diese unter der Warengattung „European Stone Figurines“ vor allem auf dem nordamerikanischen Markt Absatz.[Anm. 7]

Die Edelstein- und Diamantschleiferei

Nach 1871 wurde die Edelsteinschleiferei zu einem häufig betriebenen Gewerbe. Sie umfasste „das Schleifen von Steinen, die einen höheren Härtegrad als Achat und Quarz besaßen.“[Anm. 8] Mit ihrem Aufkommen geht die günstige Entwicklung der ganzen örtlichen Schmuckindustrie einher. Es wurden unter anderem Saphir, Ceylonstein, Aquamarin, Beryll und Turmalin geschliffen und innerhalb der Jahre 1890 bis 1914 stieg die Zahl der Edelsteinschleifer in Idar von 150 auf 1200, im Jahr 1924 sogar auf 2400 an.

Als letztes kam die Schleiferei von Diamanten auf, die sich in den 1870er und 1880er Jahren entwickelte. Dieses Handwerk war reine Lohnarbeit, da die Diamantschleifer ausschließlich für belgische Firmen arbeiteten. Ihre Bezahlung wurde zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden geregelt.[Anm. 9]

Uhrkette als Ursprung einer Industrie

Im ehemals selbstständigen Ortsteil Oberstein war die Herstellung von Metallwaren angesiedelt. Die Metallwarenindustrie war unabhängig vom Geschäft mit den Edelsteinen und entwickelte sich zu einem der bedeutendsten Industriezweige, wobei die Uhrkette eine wichtige Rolle spielte. Als erstes Stück „aus reinem Metall“ verdrängte sie teilweise die anderen Schmuckstücke und wurde selbst „zu einem der grundlegenden Artikel der Obersteiner Produktion.“[Anm. 10] Ihre Herstellung ist für das Jahr 1826 zum ersten Mal belegt.[Anm. 11]

Modeschmuck als neue Erwerbsquelle

Allerdings wurde die Mode immer schnelllebiger und das Uhrenband verdrängte schließlich die Uhrkette völlig vom Markt. Das Erfordernis, Schmuck der jeweils wechselnden Mode anzupassen, bot auch Vorteile. Es kam zur Erfindung des Modeschmucks, der den Echtschmuck nicht verdrängte, sondern vielmehr eine neue Erwerbsquelle darstellte.[Anm. 12]

Grundlage hierfür war vor allem die Herstellung unechten Schmucks durch das Eloxierverfahren, also dem Färben von unedlen Metallen. Daneben wurden galvanisierte Schmuckstücke als modische Accessoires populär.

Einen Aufschwung erlebte der Eloxalschmuck nach dem 2. Weltkrieg, sodass sich „die Zahl der Beschäftigten in der Schmuckwarenindustrie von 1951 bis 1954 fast verdreifacht“[Anm. 13] und der Umsatz vom Jahr 1951 von 8,6 Millionen bis ins Jahr 1954 mit 20 Millionen mehr als verdoppelt hat. Verantwortlich für diese Idar-Obersteiner Entwicklung war zum einen die mechanisierte Fertigung als auch die Weiterverarbeitung eloxierten Schmucks in der Kleiderindustrie.[Anm. 14]

Der Weg zur maschinellen Fertigung

Während in Idar-Oberstein die Steine bis Mitte der 1950er Jahre noch von Hand geschliffen wurden, produzierte man im Ausland insbesondere in den Schleifereien des französischen und Schweizer Jura auf modernere, nämlich maschinelle Art und Weise.[Anm. 15]

Seit den 60er Jahren stellte sich auch die Edelsteinindustrie Idar-Obersteins um, allerdings mit der Folge, dass viele Kleinstbetriebe geschlossen werden mussten, weil sie nicht so kostengünstig produzieren konnten wie die ausländischen Betriebe. Man wich auf die Herstellung höherwertiger Waren aus oder veränderte die Schleiftechnik.  Traditionell wurde am handbetriebenen Sandstein geschliffen. Der Weg zur überlegenen mechanisierten Arbeitsweise wurde aus damaliger Sicht sogar „als schädlich für die hiesige Industrie in Presse und Diskussionen dargestellt“[Anm. 16] und war daher sicherlich nicht ganz einfach. Da die oft aus den USA stammenden Arbeitsmethoden aber effizienter waren, setzten sie sich durch und es fand ein Wissensimport statt, der darin bestand, technisches Gerät aus dem Ausland herzuholen. Neben der damit einsetzenden Mechanisierung ist es durch steigende Sozialleistungen und Bürokratisierungsvorgänge zu weiteren Kostensteigerungen gekommen, wie der Edelsteinhändler und Autor Paul Ruppenthal in seinem Werk „Edelsteine – Handel und Industrie im Raum Idar-Oberstein von 1923 bis 1985“ betont.

Die Diamant- und Edelsteinbörse Idar-Oberstein (DEIO)

Den weltweit guten Ruf Idar-Obersteins als Stadt der Edelsteine und des Schmucks sieht der Autor in den Anstrengungen örtlicher Edelsteingestalter wie Bernd Munsteiner, Erwin Pauly, Richard Hahn, Helmut Wolf und Georg Wild begründet als auch in der Tätigkeit der Edelsteinbörse.

Eigenen Angaben zufolge wurde die Diamant- und Edelsteinbörse Idar-Oberstein „1974 als weltweit erste kombinierte Börse sowohl für Diamanten als auch für Farbedelsteine eröffnet.“[Anm. 17] Ihre heutige Bedeutung als internationaler Tauschort für die Edelsteinindustrie ist einer Entscheidung zu verdanken, welche am 10.3.1970 gefallen ist. An diesem Tag traf eine Gruppe von regionalen Edelsteinkaufleuten in Idar-Oberstein zusammen und gründete zum Bau einer Diamant- und Edelsteinbörse einen Börsenverein. Man versuchte damit Plänen zuvorzukommen, welche die Errichtung einer entsprechenden Börse in Frankfurt vorsahen.

Die weitere Entwicklung der Idar-Obersteiner Edelsteinbranche ist vor allem von der Konjunktur und der Flexibilität der Händler vor Ort abhängig. So argumentiert Ruppenthal, dass „die Branche nach einer langen Phase guter Konjunkturlage eine Abflachung ab 1980 hinnehmen mußte“, welche voraussehbar gewesen sei.[Anm. 18] Der Höhepunkt, der im Handel umgesetzten Edelsteine, habe in den Jahren 1978 bis 1980 des Berichtzeitpunktes seines Buches gelegen. Außerdem müssten Idar-Obersteiner Händler große Barvermögen besitzen, um auf dem internationale Markt überhaupt bestehen zu können, was für kleine und mittelständische Betriebe kaum zu leisten sei.

Idar-Oberstein – immer noch ein idealer Standort für die Edelsteinbranche?

Dass es dem Edelsteingewerbe Idar-Obersteins seit einigen Jahren nicht gut geht, wird in der aktuellen Stadtgeschichte „Idar-Oberstein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“[Anm. 19] beschrieben. Dem Herausgeber Brand zufolge sind die Ursachen in den nachteiligen mitteleuropäischen Standortfaktoren zu suchen. Es mangelt an eigenen Edelsteinvorkommen, hinzu kommt das hohe Lohnniveau. Daher verwundert es nicht, dass die Beschäftigtenzahlen stark rückläufig sind.

Es gab intensive Bemühungen den Standort Idar-Oberstein durch Gründung wissenschaftlicher Institute und Ausbildungseinrichtungen als „Zentrum der Edelsteine und des Schmucks“[Anm. 20] zu erhalten. 1980 wurde die Fachschule für Edelstein- und Schmuckgestaltung und 1986 die Abteilung für Edelstein- und Schmuckdesign der Fachhochschule Rheinland-Pfalz errichtet. Außerdem befasst sich seit 1990 das Forschungsinstitut für Edelmetalle und Edelsteine mit neuen Untersuchungsmethoden zur Qualitätsverbesserung der Edelstein- und Schmuckbearbeitung. Zu erwähnen ist auch der seit 44 Jahren vom Bundesverband der Edelstein- und Diamantindustrie e.V. vergebene Deutsche Schmuck- und Edelsteinpreis, der seit 1989 durch den Deutschen Nachwuchswettbewerb ergänzt wird.[Anm. 21]

von Sabrina Erbach, September 2014

Anmerkungen:

  1. Meigen, Dorothee: Lokale Rivalitäten. Idar-Oberstein (Mainzer kleine Schriften zur Volkskultur, 9), Mainz 1995, S. 19. Zurück
  2. Meigen: Rivalitäten, S.22-23. Zurück
  3. Meigen: Rivalitäten, S.22-23. Zurück
  4. Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz (Hg.): Rheinische Kunststätten Heft 9/1974, Idar Oberstein, S. 3. Zurück
  5. Wild, Klaus Eberhard: Das Edelsteingraveurgewerbe, in: Die Heimatfreunde Oberstein e. V. (Hrsg.): Museum Idar-Oberstein unterhalb der Felsenkirche. Mineralien-Edelsteine-Schmuck, S. 72-88, hier S. 72. Zurück
  6. Conradt, Otto: Die Idar-Obersteiner Achat-, Edelstein- und Diamantindustrie, in: Mushake, E.; Mushake, Ludwig (Hrsg.): Idar-Oberstein und seine Industrie. Europäische Wirtschaft in Einzeldarstellungen, S. 21-47, hier S. 31. Zurück
  7. Wild: Edelsteingraveurgewerbe, S. 80, 88. Zurück
  8. Conradt: Diamantindustrie, S. 32. Zurück
  9. Conradt: Diamantindustrie, S. 33. Zurück
  10. Bergér, Ludwig: Die Schmuck- und Metallwarenindustrie Idar-Obersteins, in: Mushake, E.; Mushake, Ludwig (Hrsg.): Idar-Oberstein und seine Industrie. Europäische Wirtschaft in Einzeldarstellungen, S. 48-66, hier: S. 51. Zurück
  11. Idar-Oberstein als Industriestandort, in: Lindemann, Wilhelm, Knerr, Anne-Barbara: Zeitgeist. 100 Jahre Modeschmuck aus Idar-Oberstein, Stuttgart 2009, S. 18. Zurück
  12. Bergér: Metallwarenidustrie, S. 58. Zurück
  13. Wirtschaftsstruktur des Raumes Idar-Oberstein und Möglichkeiten ihrer Auflockerung, in: Münstermann, Hans: Wirtschaftsstruktur der Räume Worms, Pirmasens, Idar-Oberstein, Ludwigshafen am Rhein, Mainz 1956, S. 49-64, hier: S. 55. Zurück
  14. Wirtschaftsstruktur, S. 55. Zurück
  15. Wirtschaftsstruktur, S. 54. Zurück
  16. Ruppenthal, Paul: Edelsteine – Handel und Industrie im Raum Idar-Oberstein von 1923 bis 1985, Idar-Oberstein 1985, S. 81. Zurück
  17. Diamant- und Edelsteinbörse Idar-Oberstein e. V., URL: http://www.diamant-edelstein-boerse.de/ueber-uns.html (Aufruf am 09.09.2014, 13:00 Uhr). Zurück
  18. Ruppenthal, Paul: Edelsteine, S. 108. Zurück
  19. Brandt, Peter, Stein, Gerd: Idar-Oberstein im Wandel der Zeit. Eine Bild- und Zeitdokumentation von 1945 bis zur Gegenwart, Idar-Oberstein 2000. Zurück
  20. Michels, Günter: Idar-Oberstein – Stadt der Edelsteine und des Schmucks, in: Lebendiges Rheinland-Pfalz, 1991, Heft 3, S. 13-17, hier S. 17. Zurück
  21. Bundesverband der Edelstein- und Diamantindustrie e.V., URL: http://www.bv-edelsteine-diamanten.de/files/schmuckpreis.htm (Aufruf am 09.09.2014, 13:10 Uhr). Zurück