Schuhfabrik Jakob Hildenbrand

1919: Gründung der Schuhfabrik Jakob Hildenbrand o.H.G. in Gersbach

Ende 1960er Jahre: Verkauf

Anfang 1970er Jahre: Ende der Produktion

Unternehmensgeschichte

Luise Hildebrand, geb. Ehrhardt und ihr Mann Jakob Hildebrand[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Jakob Hildenbrand (1872-1951) und seine Frau Luise, geb. Ehrhardt (1871-1925) gründeten 1919 die Schuhfabrik Jakob Hildenbrand o.H.G. in ihrem Wohnhaus in Gersbach in der Windsberger Straße 21 (heute: Pirmasens- Gersbach, Windsberger Straße 106). Mit zehn Mitarbeitern begann die Damenschuhproduktion im Erdgeschoss ihres Wohnhauses. Alle Familienmitglieder arbeiteten mit. Als die Nachfrage nach Schuhen stieg, wurde der Raum zu klein und die Familie entschied sich, eine große Schuhfabrik auf dem Grundstück zu bauen. In den Bauplänen ist das Baujahr 1935 angegeben.

Schuhfabrik Jakob Hildenbrand, 1953[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Nach dem Tod von Luise Hildenbrand im Jahr 1925 erbten der Witwer und die drei Söhne von der Verstorbenen deren Anteil an der Schuhfabrik zu je einem Viertel. Jakob Hildenbrand, jun. (1898-1972), verkaufte seinen Erbteil im Juni 1932 an seinen Bruder Friedrich. Er gründete in Gersbach in der Denkmalstraße seine eigene Schuhfabrik unter dem Firmennamen „Palatia“. Alfons, der jüngste Sohn (*1908, vermisst im Zweiten Weltkrieg), arbeitete als Zuschneider in der Fabrik. Im September 1935 verkaufte auch er seinen Erbteil an seinen Bruder Friedrich.

Friedrich Hildenbrand und Ehefrau Ella Adelheide, geb. Joas mit Tochter Luise[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Die Schuhfabrik gehörte nun dem Vater, Jakob Hildenbrand, dessen mittlerem Sohn Friedrich Hildenbrand (1900-1968) und dessen Ehefrau Ella Adelheide, geb. Joas (1904-1988). Als Jakob Hildenbrand 1951 im Alter vom 78 Jahren starb, vererbte er seinem Sohn Friedrich seinen Anteil. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete bereits die dritte Generation in der Schuhfabrik für bequeme Damenschuhe mit, nämlich die älteste Tochter von Ella und Friedrich Hildenbrand, Luise (1927-2018) und ihr Ehemann Wilfried Ringling (1923-1988).

1955 wurde die Schuhfabrik auf dem hinteren Teil des Grundstücks um einen Anbau erweitert. In Verlängerung des Erdgeschosses des Hauptgebäudes wurden hier die Zuschneiderei und die Stepperei untergebracht. Dadurch gewann man im Hauptgebäude mehr Platz für die Endfertigung, das Schärfen und Verpacken. Das Untergeschoss des Anbaus mit Zugang zum hinteren Garten diente als Lager.

Luise und Wilfried Ringling[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Luise und Wilfried Ringling übernahmen Anfang der 1960er Jahre die Schuhfabrik. Nachdem aber in dieser Zeit in der gesamten Region der Schuhabsatz drastisch zurückging, verkauften sie Ende der 1960er Jahre die Fabrik an einen Schuhfabrikanten aus Pirmasens und zogen nach Hessen. Beide blieben „dem Leder“ treu und arbeiteten in ihrer neuen Heimat in der Schuh- bzw. Lederwarenbranche. Der neue Eigentümer stellte die Schuhproduktion Anfang der 1970er Jahre ein.

Die Witwe Ella Hildenbrand, die noch in ihrer Wohnung in Gersbach wohnte, verkaufte daraufhin die Immobilien an einen Schuhfabrikanten aus Gersbach, der die Schuhfabrik zunächst als Lager nutzte, sie dann aber zu einem Wohnhaus umbauen ließ (heute: Pirmasens-Gersbach, Windsberger Straße 106a). Ella Hildenbrand zog in den 1980er Jahren zu ihrer jüngsten Tochter Liesel (1933-2017) in die Vorderpfalz.

Die Schuhproduktion

In der Schuhfabrik Jakob Hildenbrand o.H.G. wurden bequeme Damenschuhe hergestellt. Die Leisten fertigte der Cousin von Friedrich Hildenbrand, August Hildenbrand (1900-1975), der in Pirmasens im Schachen seine Fabrik hatte. Auch die Modelleure stammten aus Pirmasens.

Die Zwickerei[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Im Untergeschoss der Schuhfabrik war die Zwickerei untergebracht. Als noch von Hand gezwickt wurde, hatten die Zwicker die Stifte im Mund, um sie extrem schnell auf die Lippen zu nehmen und Nagel für Nagel in die Brandsohle zu hämmern. Auch die Stanzmaschine, die bei jedem Stanzvorgang einen extremen Lärm verursachte, stand im Untergeschoss im rechten Teil des Raumes, der zum vorderen Garten zeigte. Mit der Stanzmaschine wurden die Sohlen ausgestanzt.

Die Zuschneiderei[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Im Erdgeschoss, genauer im Hochparterre, waren die Zuschneiderei, die Stepperei und die Endfertigung untergebracht. Während die Zwickerei eine Männer- und die Stepperei eine Frauendomäne war, arbeiteten in der Zuschneiderei Frauen und Männer. Die Männer schnitten das Leder zu, die Frauen das Futter. Teilweise wurde hier auch das Muster in die Blätter geschnitten, aber in der Stepperei stand auch eine Maschine, ähnlich einer Nähmaschine, mit der die Muster in die Blätter gestanzt wurden.

Die Fertigmacherei[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Im vorderen Teil des Stockwerkes, in der Endfertigung, wurden die Schuhe für den Versand fertig gemacht und verpackt. Kam man durch die schwere Brandschutztür in den großen Raum, empfing einen sofort der Geruch von „Bugsel“, dem schnell brennbaren Klebstoff, mit dem die Hinterriemen oder Bänder angeklebt und anschließend festgeklopft wurden. In dieser Abteilung wurden auch die Schäfte geschärft.

Im Obergeschoss befand sich das Lederlager. Der Geruch des Leders zog sich durch das gesamte Treppenhaus. Auf den Zwischengeschossen befanden sich die Toiletten und Waschgelegenheiten. Im linken Teil des Gebäudes über der Doppelgarage befand sich das Büro mit einem angegliederten Besprechungsraum und den Schränken für die Musterschuhe Richtung hinterer Garten.

Schuhkarton[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]
Etikett des Kartons mit Modellbezeichnung[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Nachdem die Büroarbeit nicht mehr von den Firmeninhabern alleine zu bewältigen war, wurde ein Mitarbeiter aus Windsberg für die Buchhaltung eingestellt. In der Schuhfabrik waren ca. 50 Personen beschäftigt, einschließlich der Heimarbeiterinnen. Seit Gründung der Fabrik arbeiteten immer die Familienmitglieder mit. Friedrich Hildenbrand leitete die Fabrik und arbeitete im Büro. Ella Hildenbrand half in der Endfertigung, zog die Schnürsenkel ein, polierte die Schuhe und packte die fertigen Schuhe in den Schuhkarton.

Wilfried Ringling, der seine kaufmännische Ausbildung beim Arbeitsamt im Saarland absolviert hatte, erledigte vorrangig alle im Büro anfallenden Arbeiten. Aber er half auch im Erdgeschoss der Fabrik aus, wo er die Schuhe zum Versand in Kartons packte; diese Arbeit fiel üblicherweise in den Aufgabenbereich von Meister Eugen Mörschel. Außerdem holte der Firmenchef die Arbeiter mit dem Auto zu Hause ab und brachte sie wieder heim. Wenn dies nicht möglich war, kamen die Arbeiter zu Fuß oder mit ihrem Fahrrad aus Gersbach, Winzeln, Windsberg oder Hengsberg. Pünktlich um sieben Uhr ertönte eine Sirene zu Arbeitsbeginn; sie zeigte auch die Pausen und das Arbeitsende an.

Wilfried Ringling vor der Musterkollektion[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Als Handelsvertreter war Wilfried Ringling in ganz Deutschland unterwegs und tätigte Einkäufe und Verkäufe. Er pflegte die Kontakte zu den Verkäufern und verkaufte Schuhe an Wiederverkäufer. Auch fuhr er deutschlandweit zu internationalen und nationalen Schuh- und Lederwarenmessen, so z.B. zur Deutschen Schuhmesse nach Düsseldorf und zur Lederwarenmesse nach Offenbach am Main. Luise Ringling, sie nahm später ihren Geburtsnamen wieder an und hieß ab da Hildenbrand-Ringling, arbeitete schon vor ihrer Heirat in der Fabrik mit. Nach Beendigung ihrer kaufmännischen Ausbildung arbeitete sie im Büro, u.a. in der Buchhaltung, und im Verkauf. So fuhr sie zu dieser Zeit auch ins Saargebiet zu ihrer Kundschaft, wo sie ihren späteren Ehemann Wilfried kennenlernte.

Die Stepperei[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Später konzentrierte sie sich auf den Verkauf, indem sie samstags mit dem mit Schuhen vollgepackten Auto in der Pfalz und im Saarland umher fuhr und Schuhe an Endverbraucherinnen verkaufte. Sie warb Arbeiterinnen und Arbeiter an und fuhr mit zu steppenden Blättern zu den die Heimarbeiter-innen und nahm die fertige Ware mit. In Zeiten hohen Arbeitsanfalls waren etwa knapp zehn Frauen in Heimarbeit für die Schuhfabrik tätig.

Ehemaliger Garten der Fabrik[Bild: Wilfried Ringling, Sammlung Dr. Esther Ringling]

Heute ist das Gelände in zwei Besitztümer aufgeteilt. Der schöne Garten zur Windsberger Straße mit seinen roten Rosenstöcken, Pfingstrosen, angelegten Blumen- und Gemüsebeeten ist einem Parkplatz gewichen. Die große Wiese hinter dem Fabrikgebäude ist von Büschen überwuchert; nur noch ein kleiner Teil der Wiese ist zugänglich.  So schwindet immer mehr Altes zu nicht immer schönerem Neuem. Allerdings legte mittlerweile das Wohnhaus seinen dunkelgrünen Anstrich ab zugunsten eines modernen hellgrauen.

Esther Ringling, 19.05.2022