Papierfabrik Osthofen

1872: Bau der Fabrik

1930er: Die Produktion wird eingestellt

1933: Nutzung des Geländes als Konzentrationslager

1991: Einrichtung der Gedenkstätte KZ Osthofen sowie des NS-Dokumentationszentrums Rheinland-Pfalz

Von der Gründung bis zum Ersten Weltkrieg

Situationsplan über die Baustelle für die Errichtung einer Papier- und Pappdeckelfabrik von Gustav Rumpel zu Osthofen, 1872[Bild: Stadtarchiv Osthofen]

Die Papier- und Pappdeckelfabrik in Osthofen wurde im Jahr 1872 nach Plänen von Gustav Rumpel am Ziegelhüttenweg in Osthofen, heute Kreis Alzey-Worms, errichtet. [Anm. 1] Diese wurde rasch ausgebaut und 1886 um einen Dampfkessel erweitert. [Anm. 2] Zu diesem Zeitpunkt umfasste die Fabrik auch eine Schlosserei, diverse Lagerräumlichkeiten (Schuppen und Magazin) sowie einen großen Maschinenraum. Spätestens seit dem Jahr 1893 gehörte die Papierfabrik Joseph Kahn, welcher den Ausbau der Fabrik weiter vorantrieb. [Anm. 3] So wurden in den kommenden Jahren diverse Klärbecken ergänzt und die Fabrikationsfläche durch den Bau einer weiteren Lager- und Maschinenhalle im Jahr 1908 verdoppelt. [Anm. 4]

Drei Jahre später starb Josef Kahn, woraufhin Hermann Liebmann und Leo Philipp die Geschäftsführung der Fabrik übernahmen. Diese firmierte mittlerweile als GmbH. Die Witwe Henriette Kahn war als Gesellschafterin beteiligt. [Anm. 5] Karl Joehlinger tauchte in diversen Kauf- und Mietverträgen als Vertretungsberechtigter auf und tätigte insbesondere im Jahr 1914 diverse Transaktionen, welche die Produktionskapazitäten der Fabrik weiter vergrößerten. [Anm. 6] Im gleichen Jahr trat in seiner Papierfabrik auch zum 15. Januar eine Fabrikordnung in Kraft, welche Arbeitszeiten, Vorschriften für die ArbeiterInnen, Vergütung, Arbeits- und Pausenzeiten sowie den Umgang mit den Maschinen und deren Pflege verbindlich und einheitlich regelte. Über den Lohn hinaus stand den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Fabrik außerdem noch ein geldwerter Vorteil in Form einer Kohlezuteilung zur Verfügung, welche den Angestellten und ArbeiterInnen der Papierfabrik wöchentlich zur Abholung in der Fabrik bereitgestellt wurden. [Anm. 7]

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg

Lage-Plan zum Baugesuch der „Firma Papierfabrik Osthofen a. Rh.“, 21.10.1908[Bild: Stadtarchiv Osthofen]

Über den Zeitraum des Ersten Weltkriegs ist zu der Papierfabrik nichts bekannt. Seit 1922 war Felix Kahn, vermutlich der Sohn Josef Kahns, an der Geschäftsführung beteiligt.[Anm. 8] Im Jahr 1925 wurde die ehemalige Gesellschaft mit beschränkter Haftung in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und trug fortan den Namen Osthofener Papierfabrik AG. [Anm. 9] Ludwig Ebert, welcher selbst eine Papierfabrik in Osthofen betrieb, [Anm. 10] war in der Papierfabrik Osthofen AG als Prokurist angestellt. Er assistierte der Geschäftsführung und hatte demnach eine wichtige Position im Unternehmen inne. [Anm. 11] Karl Joehlinger schied im Jahr 1927 aus der Geschäftsführung aus, Felix Kahn 1930. [Anm. 12] Im gleichen Jahr wurde die GmbH zugunsten der Aktiengesellschaft aufgelöst. [Anm. 13] Über die folgenden Jahre der Papierfabrik ist sehr wenig bekannt. Gesichert ist lediglich, dass die Produktion spätestens seit den 1930er Jahren ruhte. Aus den Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen der Jahre 1925-1927 lässt sich ablesen, dass die Fabrik mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte, welche möglicherweise die Aufgabe des Geschäftsbetriebs zur Folge hatten: Während die Verluste im Jahr 1925 noch bei knapp 800 Mark gelegen hatten, stiegen sie bis 1927 auf knapp 50.000 Mark an, während die Bilanzsumme bei etwa 360.000 Mark lag. [Anm. 14]

Nutzung als Konzentrationslager und anschließende Unterbringung einer Möbelfabrik

Seit März 1933 wurden die Papierfabrik und die umliegenden Grundstücke als Konzentrationslager des Volksstaats Hessen genutzt, welches am 1. Mai in den Zuständigkeitsbereich des neuen Staatskommissars für Polizeiwesen Dr. Werner Best überging. [Anm. 15]

Ansicht des Lagers von der Bahnlinie aus, 1933[Bild: Leo Hanselmann Worms, NS-Dokumentationszentrum]

Das Konzentrationslager nutzte die Räumlichkeiten und Grundstücke der Osthofener Papierfabrik AG bis zur Schließung des Lagers im Sommer 1934. [Anm. 16] Über die Nutzung des Geländes durch die Nationalsozialisten findet sich in den Grundbuchunterlagen überraschenderweise kein Eintrag. Ungewöhnlich ist, dass das Amtsgericht Osthofen den Eröffnungsbeschluss des Insolvenzverfahrens der Osthofener Papierfabrik AG erst im Dezember 1935 fällte, obwohl die Produktion der Papierfabrik zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Jahre stillgestanden hatte. [Anm. 17] Im Zuge der sich anschließenden Zwangsversteigerung erwarben die Eheleute Karl und Luise Bühner sämtliche Grundstücke und zugehörige Immobilien und wurden am 23. Oktober 1936 im Grundbuch als neue Eigentümer eingetragen. [Anm. 18] Die Eheleute Bühner nutzten die leerstehenden Räumlichkeiten der Papierfabrik, um mit ihrer Möbelfabrik zu expandieren. Dass es sich bei dieser Transaktion um eine Bereicherung in Form einer „Arisierung“ handelt, darf angenommen werden. [Anm. 19] Aus dem vorliegenden Quellenmaterial lässt sich ablesen, dass die GmbH (welche nach dem Tod Josef Kahns in alleinigem Besitz seiner Frau Henriette war) inklusive ihrer Vermögenswerte in die AG integriert wurde. Diese Vermögenswerte bezifferten sich auf 314.000 Mark und stellten damit das Gros des Stammkapitals der AG von insgesamt 350.000 Mark. Aus den vorliegenden Unterlagen lassen sich keinerlei Hinweise auf eine Veräußerung der Stammaktien finden, weshalb davon auszugehen ist, dass sich die AG bis zum Zeitpunkt der Liquidation fast vollständig im Familienbesitz der Familie Kahn befand.  [Anm. 20] Die Möbelfabrik bestand etwa 40 Jahre bis zur Insolvenz in den späten 1970er Jahren und beschäftigte während des Zweiten Weltkriegs mehrere Zwangsarbeiter. Danach verfiel die Bausubstanz immer weiter. Teile der ehemaligen Papierfabrik wurden von einem Kunststoff-Recyclinghof genutzt, andere Räumlichkeiten als Weinlager. [Anm. 21]

Die KZ-Gedenkstätte

Das Gelände der ehemaligen Papierfabrik, heute Gedenkstätte KZ Osthofen[Bild: Barbara Ritter]

Auf Initiative der 1978 gegründeten Lagergemeinschaft und des 1986 gegründeten Fördervereins „Projekt Osthofen“ entwickelte sich die KZ Gedenkstätte. Noch im gleichen Jahr wurden erste Räume für pädagogische Arbeit zur Verfügung gestellt. Das 1989 unter Denkmalschutz gestellte Gebäude der ehemaligen Papierfabrik wurde schließlich 1991 vom Land Rheinland-Pfalz gekauft. [Anm. 22] Seitdem befinden sich die „Gedenkstätte KZ Osthofen“ sowie das NS-Dokumentationszentrum Rheinland-Pfalz in den Räumlichkeiten.

Verfasser: Robert Seiler

Erstellt am: 25.03.2020

Quellen:

  • Deutscher Reichanzeiger 1911-1930, https://digi.bib.uni-mannheim.de/periodika/reichsanzeiger/, Abruf 23.3.2020.
  • NS-Dokumentationszentrum RLP: 10/145, 87/1601, 1192, 1313.
  • Lage-Plan zum Baugesuch der „Firma Papierfabrik Osthofen a. Rh.“, 21.10.1908, Stadtarchiv Osthofen.
  • Situationsplan für Herrn Ober-Finanzrath F. Emmerling in Darmstadt zur Anlage eines Dampfkessels, 18.11.1886, Stadtarchiv Osthofen.
  • Situationsplan über die Baustelle für die Errichtung einer Papier- und Pappdeckelfabrik von Gustav Rumpel zu Osthofen, 1872, Stadtarchiv Osthofen.
  • Situationsplan zum Baugesuch des Herrn Jos. Kahn, Osthofen, 11.04.1893, Stadtarchiv Osthofen.

Literatur:

Anmerkungen:

  1. Situationsplan über die Baustelle für die Errichtung einer Papier- und Pappdeckelfabrik von Gustav Rumpel zu Osthofen, 1872, Stadtarchiv Osthofen.  Zurück
  2. Situationsplan für Herrn Ober-Finanzrath F. Emmerling in Darmstadt zur Anlage eines Dampfkessels, 18.11.1886, Stadtarchiv Osthofen.  Zurück
  3. Situationsplan zum Baugesuch des Herrn Jos. Kahn, Osthofen“, 11.04.1893, Stadtarchiv Osthofen. Im Stadtarchiv finden sich Pläne für weitere Bauvorhaben, welche von Joseph Kahn in Auftrag gegeben und in den kommenden Jahren dann auch umgesetzt wurden.  Zurück
  4. Lage-Plan zum Baugesuch der „Firma Papierfabrik Osthofen a. Rh.“, 21.10.1908 Stadtarchiv Osthofen.  Zurück
  5. NS-Dokumentationszentrum RLP 87/1601, Deutscher Reichanzeiger 1911, 230, S. 19.  Zurück
  6. Er kaufte diverse Maschinen und Grundstücke. Aus dem Jahr 1914 sind insgesamt fünf Miet- und Kaufverträge überliefert, welche von Joehlinger abgeschlossen wurden. NS-Dokumentationszentrum RLP 10/145.  Zurück
  7. NS-Dokumentationszentrum RLP 1313.  Zurück
  8. Deutscher Reichsanzeiger 1922, 259, S. 12.  Zurück
  9. Ersichtlich aufgrund einer Eintragung im Grundbuch (NS-Dokumentationszentrum RLP 87/1601).  Zurück
  10. Erstmalig erwähnt wird das „Papierwerk Osthofen Ludwig Ebert“ 1912 (Deutscher Reichsanzeiger 1912, 217, S. 8.  Zurück
  11. Er wird nach Einrichtung des Konzentrationslagers in den Räumen der Osthofener Papierfabrik AG im Jahr 1933 aufgrund seines jüdischen Glaubens interniert. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits seit über 20 Jahren bei der Papierfabrik Osthofen AG angestellt. Nach seiner Emigration aus Deutschland wurde er 1944 von den Nationalsozialisten in Holland aufgegriffen, deportiert und wenige Tage später auch ermordet. NS-Dokumentationszentrum RLP 1192, NS-Dokumentationszentrum 10/145, Arenz-Morch 2019, S. 49.  Zurück
  12. Deutscher Reichsanzeiger 1927, 67, S. 24, Deutscher Reichsanzeiger 1930, 152, S. 13.  Zurück
  13. Deutscher Reichsanzeiger 1930, 243, S. 9.  Zurück
  14. Deutscher Reichsanzeiger 1925, 40, S. 8, Deutscher Reichsanzeiger 1925, 295, S. 7, Deutscher Reichsanzeiger 1927, 89, S. 6.  Zurück
  15. Arenz-Morch 2019, 11 f. Hier wurden ab März 1933 bis in den Sommer 1934 schätzungsweise 3.000 Menschen, insbesondere politische Gegner, Juden sowie Gewerkschaftler inhaftiert und schikaniert. Ausführliche Informationen zum Konzentrationslager ebd., S. 11–52.  Zurück
  16. Arenz-Morch 2019, S. 48.  Zurück
  17. Siehe Schreiben des Wormser Amtsgerichts vom 08.07.1986, NS-Dokumentationszentrum RLP 10/145.  Zurück
  18. NS-Dokumentationszentrum RLP 10/145.  Zurück
  19. Sowohl Felix Kahn als auch Karl Joehlinger waren jüdischen Glaubens, Ritter 2019.  Zurück
  20. Deutscher Reichsanzeiger 1911, 230, S. 19.  Zurück
  21. Arenz-Morch und Ruppert-Kelly 2019, S. 13f. Ein guter Überblick über die Geschichte der Papierfabrik und Gedenkstätte findet sich ebenfalls im Eintrag von Barbara Ritter auf der Homepage des Vereins Rhein-Neckar-Industriekultur e.V.  Zurück
  22. Ebd.  Zurück