Weingut Merz

1833: Erwerb von Weinbergen und Kelterhaus in Ockenheim durch Peter Philipp Phildius

Urkunde von 1833 über den Kauf von Weinbergen und Kelterhaus
Urkunde von 1833 über den Kauf von Weinbergen und Kelterhaus[Bild: Karl und Lyslotte Merz]

200 Jahre Rheinhessen – da liegt es nahe, die Geschichte dieser Provinz, die heute das größte deutsche Weinbaugebiet umfasst, auch anhand eines Weingutes zu skizzieren. Dazu bietet sich das Weingut Merz an, dessen Entwicklung in der südlich von Bingen gelegenen Weinbaugemeinde Ockenheim sich anhand zahlreicher Dokumente über diesen langen Zeitraum auch belegen läßt. Deshalb möchte ich dem Ehepaar Karl und Lyslotte Merz auch an dieser Stelle dafür danken, daß sie mir Einblick in ihr reichhaltiges Familienarchiv gewährten und mich in Gesprächen mit vielen zusätzlichen Informationen versorgten. Auch wenn ihr Weingut bereits von Anfang an nur Weinbau betrieb, was nicht typisch für viele der heutigen Höfe ist, die sich erst in den letzten Jahrzehnten aus Gemischtbetrieben mit Acker-, Wein- und Obstbau sowie Viehhaltung zu reinen Winzerbetrieben entwickelt haben, so besitzen doch viele der hier getroffenen Aussagen allgemeine Gültigkeit.

Dies beginnt schon beim Landkauf. Nach der fast zwanzigjährigen Zugehörigkeit Rheinhessens zu Frankreich als Département du Mont Tonnere (Donnersberg) konnten die neuen Freiheiten der napoleonischen Zeit wie Bürgerrechte, die Gleichheit vor Gericht oder in diesem Fall der Besitz und Schutz persönlichen Eigentums auch nach dem Übergang der Provinz in den Herrschaftsbereich des Großherzogtums Hessen-Darmstadt nicht mehr zurückgenommen werden. [Anm. 1] Als Peter Philipp Phildius 1833 den Kauf von Immobilien in Ockenheim von Notar Faber in Mainz beurkunden ließ, handelte jener als Amtsdiener im Auftrag des Großherzogs, der sich nach der Übernahme der linksrheinischen Provinz in sein Territorium „Großherzog von Hessen und bei Rhein“ nannte – woher der Name Rheinhessen rührt. [Anm. 2]

Die Gründung des Weingutes aus ehemaligem Familienbesitz

Einladung zur Weinversteigerung 1852[Bild: Karl und Lyslotte Merz]

Peter Philipp Phildius war ein Mainzer Bürger und Kaufmann, der vermutlich durch seine Heirat mit Sabine Cremer auf Ockenheim aufmerksam wurde. Sie war die Tochter des Mainzer Kaufmannes Franz Michael Cremer, dessen Familie bereits im 18. Jahrhundert über Grundbesitz in Ockenheim verfügt hatte – ein Wohnhaus gegenüber der Kirche sowie Weinberge und Ackerland. [Anm. 3] Während der napoleonischen Zeit war er im Jahre 1800 kurze Zeit Bürgermeister in Ockenheim gewesen. [Anm. 4] Die Geburten seiner beiden hier geborenen Töchter Sabine und Clara wurden im neu eingeführten Standesamt registriert, das nach der Säkularisation die bis dahin üblichen Eintragungen in den Kirchenbüchern ersetzte. Nach dem Tod F. M. Cremers verkaufte der Vormund der beiden minderjährigen Mädchen Haus und Land. Da jedoch einige der neuen Besitzer ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkamen, kaufte P. P. Phildius 1833 einen Teil davon zurück, als er in der Gemarkung Ockenheim 14 Parzellen Acker- und Weinbergsland (insgesamt etwa 20 Morgen) sowie ein Kelterhaus samt Inventar und darunter liegendem Keller hinter der Kirche erwarb und damit den Grundstein für das Weingut legte.

P. P. Phildius war kein Winzer. Für ihn bedeutete dieser Erwerb eine Kapitalanlage, was im aufstrebenden Wirtschaftsbürgertum des 19. Jahrhunderts üblich war. Er verwaltete seinen Besitz von Mainz aus und betraute zunächst einen Ockenheimer Wingertsmann, schon bald aber zwei einheimische Familien mit den Arbeiten in Weinbergen und Keller. Er selbst reiste regelmäßig nach Ockenheim, um sich über die Entwicklungen zu informieren und logierte, wenn er nicht schon am gleichen Tag wieder nach Mainz zurückkehrte, beim damaligen Ockenheimer Bürgermeister oder einer Ockenheimer Familie. [Anm. 5]

Um auf Dauer auch ein eigenes Domizil zu besitzen, kaufte er 1837 ein Haus in der Obergasse, der heutigen Mainzer Straße. [Anm. 6] Er ließ es renovieren und während seiner Abwesenheit durch die Familie seines Wingertsmannes Müller betreuen, die ein Haus neben dem Gutsgebäude bewohnte. [Anm. 7] Zusammen mit Franz Müller und seiner Familie erledigte Peter Bungert mit seinen Angehörigen über zwanzig Jahre lang von der Mitte der 1840er Jahre an bis über 1865 hinaus alle Arbeiten in den Weinbergen und im Keller. [Anm. 8] P. P. Phildius notierte diese sehr detailliert mit den entsprechenden Lohnabrechnungen, gezahlten Vorschüssen und diversen anderen Ausgaben sowie Einnahmen in seinem Gutsbuch, das all diesen Angaben zugrunde liegt. [Anm. 9] Die Zeit der Herbstlese verbrachte er jedes Jahr in Ockenheim und hielt in seinem Gutsbuch nicht nur die Erträge jeder Parzelle fest, sondern vermerkte ebenso, wieviel Most zu welchen Preisen er von Ockenheimer Bauern und Winzern dazukaufte.

P. P. Phildius beließ es nicht beim Anbau von Wein und dem Ausbau im Keller, sondern kümmerte sich auch um den Absatz. Im März 1852 versteigerte er seine Weine in Bingen in einer eigens von ihm organisierten Weinversteigerung. [Anm. 10] Neben Händlern aus dem rheinhessischen Umland nahmen auch Geschäftsleute aus Köln, Düsseldorf und Dortmund daran teil, mit denen er schon zuvor Kontakte geknüpft und ihnen Wein verkauft hatte.

Die ersten Zuchtversuche

P. P. Phildius’ 1830 geborene Tochter Amalia hatte 1851 den Mainzer Essigfabrikanten Wilhelm Rasch geheiratet, der nach dem Tod seines Schwiegervaters 1859 die Verwaltung des Gutes übernahm. Ebenso wie dieser wohnte auch er nicht in Ockenheim und ließ das Weingut von inzwischen vier Ockenheimer Familien bewirtschaften. Dabei vertraute er auf ihre Erfahrungen und sprach bei seinen Besuchen die Arbeiten mit ihnen ab. Zuweilen notierte er auch kurzfristig auf einem Zettel, was ihm wichtig war, und legte diesen im betreffenden Weinberg unter einen Stein, wo die Wingertsleute ihn fanden und seinen Anweisungen folgten. [Anm. 11]

Als das Großherzogtum 1866 auf der Seite Österreichs in den Krieg gegen Preußen zog, sammelten sich in Mainz die verbündeten kurhessischen und österreichischen Truppen. Mit zunehmender Kriegsgefahr zog Wilhelm Rasch mit seiner Familie nach Oestrich/Rheingau, wo die Familie seiner zweiten Frau das frühere domkapitelsche Weingut besaß. [Anm. 12] Dort wurden sie von den Kriegshandlungen kaum berührt.

Viel nachhaltiger zog dagegen die Aufbruchstimmung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit ihren vielfältigen neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auch Wilhelm Rasch in ihren Bann. Er nahm Kontakt mit dem Leiter der Österreichischen Landes-, Obst- und Weinbauschule in Klosterneuburg bei Wien, dem Freiherrn von Babo, auf und bezog von ihm die Portugieser-Reben, die er 1866 in Ockenheim einführte. [Anm. 13] Diese paßten sehr gut in die Kies- und Sandböden der rheinseitigen Ockenheimer Weinbergslagen und zeichneten sich durch ihren frühen Reifetermin vor allen anderen Reben aus, so daß sie bald von anderen Winzern übernommen wurden.

Wilhelm Raschs besondere Interessen galten der Züchtung von Reben. Dazu legte er Versuche von Kreuzungen bekannter Sorten wie Riesling, Silvaner, Traminer oder Ruländer an, die weites Interesse in der Fachwelt fanden. [Anm. 14] In dieser Zeit verursachte in Frankreich bereits die aus Amerika eingeschleppte Reblaus erhebliche Schäden und bedrohte zunehmend auch den deutschen Weinbau. Deshalb begann Wilhelm Rasch ab 1882 mit Versuchen zur Kreuzung von Riesling mit reblausresistenten Reben aus Amerika. Auch wenn ihm ebensowenig wie anderen die Züchtung einer reblausresistenten Sorte auf diesem Wege gelang, so steht sein Name doch in einer Reihe mit denen anderer bedeutender Züchter, die im Deutschen Weinbaumuseum in Oppenheim genannt werden. [Anm. 15] Seine Erfolge werden jedoch wenig mit dem Ockenheimer Weingut, sondern eher mit seinem Gut in Oestrich/Rheingau in Verbindung gebracht, auf das er sich am Ende seines Lebens zurückzog.

Weinproduktion und Weinhandel bis zum Ersten Weltkrieg

Etikett der Weinhandlung Georg Merz in Mainz
Etikett der Weinhandlung Georg Merz in Mainz[Bild: Karl und Lyslotte Merz]

Wilhelm Raschs Tochter Anna heiratete 1875 den Mainzer Weinhändler Georg Merz. Während ihr Vater ebenso wie ihr Großvater bis dahin die Weine des Gutes über Weinversteigerungen in Stück-Fässern (1.200 l) vermarktet hatten, begann nun der Verkauf der Ockenheimer Weine auch in Flaschen über die Mainzer Weinhandlung, die Georg zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder Heinrich betrieb. [Anm. 16] Während Georg Merz vor allem das Geschäft in Mainz betreute, übernahm sein Bruder die Geschäftsreisen, die ihn zu Kunden im Deutschen Reich, in Holland, Belgien und Frankreich bis hin nach England führten. [Anm. 17]

Inzwischen war Rheinhessen als Provinz des Großherzogtums Hessen-Darmstadt ein Teil des neugegründeten Deutschen Kaiserreiches geworden. Während sich die sogenannten Einigungskriege zwischen 1866 bis 1870/71 sehr negativ auf den Handel ausgewirkt hatten, so profitierte der Weinhandel in den folgenden Gründerjahren von der allgemeinen Euphorie der Bevölkerung.

In den Weinbergen des Ockenheimer Gutes arbeiteten nach wie vor mehrere Ockenheimer Familien, die Nachkommen der ersten Wingertsleute, die nebenbei noch eine eigene kleine Landwirtschaft betrieben. Die Familie Merz verbrachte jedoch vor allem im Sommer oft mehrere Wochen in Ockenheim, so daß gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Wohnhaus umgebaut und aufgestockt wurde.

Angeregt durch die Versuche der Forschungsanstalt für Garten- und Weinbau in Geisenheim hatte Wilhelm Rasch 1893 erste Erfahrungen mit einer Trockenbeerenauslese gemacht, die nur in seltenen sehr guten Jahren möglich ist.

Neben der zunehmenden Vernichtung von Rebstöcken durch die weiter vordringende Reblaus verursachten auch die ebenfalls aus Amerika kommenden Krankheiten Oidium (Falscher Mehltau) und Peronospora um die Wende zum 20. Jahrhundert erhebliche Ertragsausfälle. Nachdem diese Pilzkrankheiten 1906 fast die gesamte Ernte des Ockenheimer Gutes vernichtet hatten, nahm Wilhelm Merz, der älteste Sohn von Anna und Georg Merz, Kontakt mit der 1895 neu gegründeten Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt Oppenheim auf. Obwohl er neben dem obligatorischen Militärdienst bereits eine kaufmännische Ausbildung im In- und Ausland absolviert hatte und in das Weinhandelsgeschäft seines Vaters eingetreten war, meldete er sich 1907 als Schüler in Oppenheim an, wo man ihm erlaubte, zwischendurch auf Geschäftsreisen zu gehen. [Anm. 18] Bei der praktischen Umsetzung dessen, was er in der Weinbauschule lernte, stieß er jedoch nicht immer auf die Gegenliebe seiner Hofleute, wie er die für das Gut arbeitenden Wingertsfamilien nun nannte. Da diese den zwischen den Reihen wachsenden Gras- und Kräuterbewuchs und vor allem das Ausbrech- und Gipfellaub der Reben als Viehfutter nutzten, weigerten sie sich, die Reben mit Kupfervitriol (gegen Peronospora) oder schwefelhaltige Spritzbrühen (gegen Oidium) zu besprühen. Erst als Wilhelm Merz ihnen den Klee der Ruhefelder zur Verfügung stellte, waren sie dazu bereit. Mit den in Oppenheim erworbenen Kenntnissen und unter der Beratung des Weinbautechnikers Willig zeigten sich die Erfolge der modernen Maßnahmen, so daß Hofleute und andere Winzer die neuen Methoden übernahmen.

Daneben bestand nach wie vor die Gefahr der Vernichtung ganzer Flächen durch die Rebläuse. Nachdem Versuche mit der Pfropfung einheimischer Ertragsrebsorten auf reblausresistente Amerikanerreben erste Erfolge zeigten, legte Wilhelm Merz in Zusammenarbeit mit der Versuchsanstalt in Oppenheim 1912 auch in Ockenheim Versuchsfelder auf Amerikaner-Unterlagen an und begann mit der Rebveredelung und Selektion. [Anm. 19]

Die Zeit der Weltkriege

Gutshaus zum 100-jährigen Jubiläum 1933
Gutshaus zum 100-jährigen Jubiläum 1933[Bild: Karl und Lyslotte Merz]

Georg Merz starb 1913, noch vor dem Ersten Weltkrieg, in dem sein Sohn Wilhelm Merz von August 1914 an bis zum Kriegsende als Offizier in Frankreich und Galizien diente. Während dieser Zeit kümmerte sich seine Mutter Anna Merz, die für das Rote Kreuz am Mainzer Bahnhof bei der Verpflegung durchreisender Soldaten half, auch um das Ockenheimer Weingut. Hierbei wurde sie vor allem von Peter Bungert unterstützt, dessen Großvater schon zu den Wingertsleuten des P. P. Phildius gehört hatte. [Anm. 20] Mit Kriegsbeginn wurden deutsche Soldaten auf dem Weg an die Westfront in Ockenheim einquartiert, einige von ihnen auch im Weingut Merz. Am Ende des Krieges waren es zunächst die heimkehrenden deutschen Truppen, ehe die französische Armee das linksrheinische Gebiet besetzte und französische Soldaten auch im Weingut Merz Quartier bezogen. Anna Merz hielt sich jetzt häufiger in Ockenheim auf, obwohl man ihr nur wenige Zimmer neben den von der französischen Besatzung beschlagnahmten Räumen gelassen hatte. [Anm. 21] Wenn Wilhelm Merz nach Ockenheim fuhr, benutzte er ein Fahrrad, um die von den Franzosen beschlagnahmte Reichsbahn und von ihnen dafür betriebene Regiebahn zu boykottieren. [Anm. 22] Denn mit der Besetzung des Rheinlandes und des sogenannten Ruhrkampfes waren die deutschen Eisenbahner in den Streik getreten und daraufhin in das unbesetzte rechtsrheinische Gebiet ausgewiesen worden. [Anm. 23]

Rheinhessen erlebte als linksrheinisches Gebiet in dieser Zeit jedoch nicht nur die französische Besetzung, die bis zum Juni 1930 bestehen blieb, sondern litt ebenso wie das übrige Deutschland unter der Inflation. Im Weingut wurden Trauben und Wein wie Gold gehütet und nur so viel davon verkauft, wie notwendig war, um Löhne, Dünger, Material und anderes zu bezahlen. [Anm. 24]

Wilhelm Merz hatte bereits vor dem Krieg den stetigen Rückgang des Weinhandelsgeschäftes beobachtet und deshalb die Weingroßhandlung, die sein Großvater gegründet hatte, während des Krieges verkauft. [Anm. 25] Im Sommer 1919 heiratete er Helene Rehe aus Falkenstein/Taunus, konnte jedoch nur wenige glückliche Jahre mit ihr und den drei Söhnen verbringen, bis sie im Sommer 1928 überraschend starb. Da das jüngste Kind Karl erst ein halbes Jahr alt war, engagierte er Fräulein Marie Hülsebusch als Hausdame, die sich in den folgenden Jahren um die Familie kümmerte. [Anm. 26]

Er selbst betreute nun umso intensiver das Ockenheimer Gut. Er behielt zwar seinen Wohnsitz in Mainz, fuhr jedoch mehrmals wöchentlich nach Ockenheim und erledigte zusammen mit den Hofleuten, zu denen inzwischen sieben Familien gehörten, die Arbeiten im Keller und in den Weinbergen. Dabei konzentrierte er sich auf den Ausbau der Weine und ihren Verkauf in Flaschen. Die Beziehungen zu früheren Kunden im In- und Ausland ermöglichten ihm die Anknüpfung an seine ehemaligen Geschäfte mit der Vermarktung von Flaschenweinen aus seinem eigenen Betrieb.

Daneben behielt er auch die Rebveredelung auf Amerikaner-Unterlagsreben im Auge und nutzte für seine Versuche weiterhin den Kontakt mit der Weinbauschule in Oppenheim sowie der in Bad Kreuznach. Mit Pfropfungen auf Amerikanerunterlagen von Berlandieri- und Riparia-Stämmen erzielte er auf den Ockenheimer Kalkböden so gute Ergebnisse, daß er diese ab 1932 selbst veredelte und ein erstes Jungfeld als Ertragsweinberg (mit Silvaner auf KOBER 5BB) anlegte. Darüber hinaus selektierte und vermehrte er die besten Stämme mit Erfolg. [Anm. 27]

Außerdem übermittelte er als Rebschutzwart phänologische Beobachtungen an die Versuchsanstalt in Oppenheim, die 1906 den noch heute bestehenden Rebschutz-Warndienst eingerichtet hatte, der den Winzern so früh wie möglich Hinweise zur Bekämpfung von Krankheiten oder Schädlingen gibt. [Anm. 28]

Nachdem der Weinkonsum am Ende des Ersten Weltkrieges und in den folgenden schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen in Deutschland stark zurückgegangen war, wurde er ab den 1930er Jahren vom neuen nationalsozialistischen Regime sehr gefördert. Unter dem Reichsnährstand, in den bis Ende 1934 alle Weinbauverbände und Genossenschaften integriert worden waren, wurden Anbaugebiete und Richtpreise festgelegt. [Anm. 29] Neben Weinwerbetagen und Weinwochen wurden Patenschaften zwischen einzelnen Städten und Weinbaugemeinden eingerichtet. [Anm. 30] Ockenheims Patenstadt war Bad Homburg, wo das Weingut Merz das Hotel Trapp belieferte.

Der Zweite Weltkrieg brachte auch einen Umbruch für das Ockenheimer Weingut. Die beiden ältesten Söhne wurden eingezogen. Die Bombenangriffe auf Mainz zerstörten das Haus der Familie Merz, die daraufhin nach Ockenheim übersiedelte. Als Karl Merz, seit 1944 Luftwaffenhelfer, sich Anfang 1945 bei der Wehrmacht melden musste und sich von Ockenheim aus auf den Weg zu seiner Einheit machte, befand sich diese bereits auf dem Rückzug vor den Alliierten. Im Mai geriet er für kurze Zeit in amerikanische Gefangenschaft, wurde jedoch im Juli wieder entlassen und trat vom Chiemsee aus zu Fuß den Heimweg an. Als er Ockenheim fast erreicht hatte und vom Jakobsberg auf den Ort heruntersah, signalisierte ihm die dort flatternde Trikolore die Anwesenheit der französischen Besatzungsmacht.

Neuanfang nach 1945

Gemeinsam mit seinem Vater behielt Karl Merz von dieser Zeit an seinen festen Wohnsitz in Ockenheim und begann, die durch den Krieg und fehlenden Arbeitskräften vernachlässigten Rebanlagen allmählich wieder aufzustocken. [Anm. 31] Dabei half ihnen auch die Arbeitskraft des neu erworbenen Pferdes Max. Für das Tier war zuvor ein Stall und daneben eine Scheune gebaut worden. Die Steine stammten aus den Trümmern des Mainzer Hauses, aus denen Vater und Sohn Merz die brauchbaren Steine herausgesucht und mit dem Fuhrwerk nach Ockenheim transportiert hatten. Auf Weinvorräte konnten sie nicht zurückgreifen, da diese als Reparationsgut konfisziert worden waren. [Anm. 32]

1948 begann Karl Merz seine Ausbildung an der Weinbauschule in Bad Kreuznach, die er 1954 als Winzermeister abschloß. Während dieser Zeit lernte er auch seine Frau Lyslotte kennen. Sie heirateten 1953, Tochter Annette kam 1956 zur Welt. Doch zuvor hatte der Februar 1956 Rheinhessen eine Frostkatastrophe mit bis zu 32 Minusgraden beschert, der Rhein blieb bis März zugefroren, so daß im folgenden Jahr ein Viertel der 5 Hektar Ertragsflächen, auf denen die Reben erfroren waren, ausgehauen werden mußte. Die gesamte Ernte 1956 betrug nur 1.000 Liter. Auch das Jahr 1957 brachte durch späte Maifröste Ertragsminderungen. Für die junge Familie war das besonders hart, da Vater Wilhelm Merz ihnen 1958 den Betrieb übergeben wollte.

Der außergewöhnliche, sehr gute Jahrgang 1959 und die mengenmäßig große Ernte 1960 bei guter Qualität machte jedoch vieles wieder wett. Das Wohnhaus, das seit 1953 nach und nach modernisiert worden war, konnte fertig renoviert und die überalterten Betriebsgebäude 1962 komplett abgerissen, neu gebaut und dabei unterkellert werden. Um die neue Methode der gezügelten Gärung in Drucktanks zur Steigerung der Qualität durchführen zu können, mit denen Karl Merz ab 1950 in Versuchen erste Erfahrungen gemacht hatte, wurden insgesamt 11 Drucktanks nach und nach im Kelterraum am Haus installiert. Bereits Anfang der 1950er Jahre erwarb Karl Merz den ersten Weinbergschlepper mit 9 PS, dem 1959 ein 14-PS- und 1966 ein 24-PS-Schlepper folgten, die mit den entsprechenden angehängten Arbeitsgeräten allmählich viel mühevolle schwere Handarbeit bei Bodenbearbeitung, Düngung und Pflanzenschutz ersetzten.

Neben dem Ehepaar Merz und einem Fuhrmann waren zu Beginn der 1950er Jahre zwei Männer aus dem Ort fest im Betrieb angestellt. Dazu erledigten vier bis fünf Frauen nach dem Winterschnitt und den Reparaturarbeiten in den Weinbergen viele Handarbeiten wie Biegen und Heften. Auch zur Weinlese im Herbst wurden viele zusätzliche Helfer angestellt.

Ende der 1950er Jahre begann das Ehepaar Merz mit der Umstellung auf Weitraumanlagen. Neben den breiten Gassen, die den Maschineneinsatz zuließen, zeichnete sich die Merz’sche Erziehungsform durch hohe Stämme aus. Von jedem Rebstock wurden zwei Triebe angeschnitten und auf zwei Außendrähte aufgelegt, um so die Blattmasse für die Sonneneinstrahlung zu erhöhen und dadurch bessere Qualität zu erzielen. Dies entsprach der Zielsetzung von Karl und Lyslotte Merz, hohe Weinqualität zu produzieren. Dabei konzentrierten sie sich auf den Anbau von Riesling und folgten der Tradition des Weingutes im Ausbau trockener Weine, auch wenn in den 1960er Jahren milde und liebliche Weine bevorzugt wurden.

Während die meisten Winzer in der Umgebung ihren Most oder Faßwein an Genossenschaften und Weinkommissionäre lieferten, hatte das Weingut Merz schon bald nach dem Krieg den Flaschenweinverkauf mittels Selbstvermarktung wieder aufgenommen. Diese Strategie war sowohl zukunftsweisend als auch der Tradition folgend, bei der Karl Merz auf die Erfahrungen seines Vaters und Großvaters zurückgreifen und vor allem die persönlichen Kontakte beleben konnte, die sie aufgebaut und gepflegt und trotz zweier Weltkriege nie ganz hatten abreißen lassen. Ende der 1980er Jahre führte das Ehepaar Merz für ihre Weinkunden ein Wochenende zum "Stell-Dich-ein" mit Weinprobe und Führung durch die Weinberge sowie abschließendem Imbiß im Weinbergshäuschen ein. Auf dieser Basis wurden an zwei bis drei Wochenenden im Jahr die Kontakte mit der Kundschaft intensiviert. Den Erfordernissen der Zeit entsprechend richtete der Betrieb im 21. Jahrhundert auch eine Homepage im Internet ein, um die neuen Möglichkeiten zur Vorstellung des Weingutes und zu Kundenkontakten zu nutzen.

von Barbara Jordans, 17. November 2015

Anmerkungen:

  1. Walter Rummel u.a.: Verfassung, Verwaltung und Justiz, in: Kreuz, Rad, Löwe. Rheinland-Pfalz – Ein Land und seine Geschichte, Mainz 2012, S.179-258, hier S. 185. Zurück
  2. Urkunde vom 10.8.1833; Matthias Dietz-Lenssen: Rheinhessen – Spielball der Geschichte. Die Entwicklungen einer einzigartigen Wein- und Kulturlandschaft, Mainz 2014, S. 94. Zurück
  3. Hans Merz: Chronik der Familie Merz, Ingelheim 1998, S. 10. Zurück
  4. Erich Hinkel: Ockenheim am Fuß des St. Jakobsberges. Geschichte in Bildern und Dokumenten, Horb/Neckar 1998, S. 11. Zurück
  5. Peter Philipp Phildius: Einnahme und Ausgabe über das am 8.ten August 1833 von Herrn Caspar Dickscheid Mainz erkaufte Weingut Ockenheim, 1833-1888 (ab 1859 von seinem Schwiegersohn Wilhelm Rasch weitergeführt) = allgemein „Gutsbuch“ genannt, aus dem diese und die folgenden Informationen stammen. Zurück
  6. Urkunde vom 19.6.1837; Gutsbuch über das Jahr 1837. Zurück
  7. Chronik, S. 11. Zurück
  8. Gutsbuch über die Jahre 1845-1865. Zurück
  9. Siehe Anmerkung 5. Zurück
  10. Gutsbuch 1852; Einladung zur Weinversteigerung von P. P. Phildius vom 22. März 1852 in Bingen. Zurück
  11. Gustav Lüstner: Führende Männer des deutschen Weinbaus: Wilhelm Rasch, in: Weinbau und Kellerwirtschaft, Juli 1927, S. 135-137. Zurück
  12. Anna Merz (geb. Rasch): Erinnerungen, Mainz/Ockenheim 1920-21, S.11-12. Zurück
  13. Brief des Freiherrn von Babo an Wilhelm Rasch vom 28.2.1868; Gutsbuch: April 1866 Lieferung der Portugieser. Zurück
  14. R. Goethe: Wilhelm Rasch, in: Mitteilungen des Deutschen Weinbau-Vereins, Nr. 3/1909, S. 84-86. Zurück
  15. Führer durch das Deutsche Weinbaumuseum Oppenheim, Mainz 1991, S. 54. Zurück
  16. Georg Merz (sen.): Weinhandel-Jahresbuch „Mit Gott“, Mainz 1865-1910 (ab 1877 von Sohn Georg geführt). Zurück
  17. Chronik, S. 51. Zurück
  18. Chronik, S. 51-52. Zurück
  19. Vertrag vom 1.4.1911, Fotos und handschriftliche Pläne mit Auswertungen der Versuchsanlagen. Zurück
  20. Chronik, S. 33, 40 und 53. Zurück
  21. Chronik, S.  42-43. Zurück
  22. Chronik, S. 60. Zurück
  23. Dietz-Lenssen, S. 108. Zurück
  24. Chronik, S. 60. Zurück
  25. Chronik, S. 39. Zurück
  26. Chronik, S. 58-61. Zurück
  27. Chronik, S. 62. Zurück
  28. Brief von Wilhelm Merz an die Versuchsanstalt Oppenheim vom 20.11.1934 und deren Antwort an W. Merz vom 26.11.1934; Briefwechsel vom Oktober 1937; SLVA Oppenheim (Hg.): 100 Jahre Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt Oppenheim 1895-1995, S. 15. Zurück
  29. Hartmut Keil / Felix Zillien: Der deutsche Wein 1930 bis 1945 – Eine historische Betrachtung, Dienheim 2010, S. 15-18. Zurück
  30. Der deutsche Wein, S. 125-128, 132-134. Zurück
  31. Die Angaben dieses Kapitels beruhen im Wesentlichen auf mündlichen Informationen von Karl und Lyslotte Merz in Gesprächen vom April und Mai 2015. Zurück
  32. Chronik, S. 66. Zurück