Chemische Fabrik Roth

Verfasser: Erich Roth

Erstellt am: 01.07.2022

1895: Gründung des Unternehmens

1988: Übernahme durch die BP-Tochter Globol

1991: Verkauf des Unternehmensverbundes durch BP und Übernahme durch Jeyes Ltd.

1993: Schließung des Standortes Bad Ems

0.1.Entwicklung von Vitrolin und Gründung des Unternehmens

Die Gründer August und Otto Roth Sr.[Bild: Erich Roth]

Bis ins 19. Jahrhundert hinein war in Deutschland das Zusammenleben in Hausgemeinschaften üblich, in denen das häusliche Zusammenleben überwiegend in einem Raum stattfand. So wurde um eine Feuerstelle gearbeitet, gekocht, gegessen, geschlafen und zusammengelebt. Erst im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich von dieser „Wohnküche“ ausgehend durch Anfügen weiterer Räume zum Schlafen oder eines Wohnzimmers der Vorläufer einer Wohnung. Eine Ausstattung mit Elektrizität, Gas und fließendem Wasser folgte erst langsam ab Ende des 19. Jahrhunderts. Ordnung und Sauberkeit waren primär Aufgabe eines Dienstmädchens oder der Hausfrau und mit hohem körperlichem Aufwand verbunden. Als Beispiel für diese Arbeit sei auf das Reinigen des Kupferwaschkessels vor jeder Wäsche hingewiesen. Dies war unumgänglich, weil sich die Oberfläche des Kessels während der ungenutzten Standzeit an der Luft mit einer stark haftenden Kupferoxidschicht überzieht, die nur mechanisch mit Bürste und Scheuersand beseitigt werden konnte.

Vitrolin-Stein[Bild: Erich Roth]

Diese anstrengende Tätigkeit war für die Ehefrau des Apothekers August Roth, der in der Bad Emser Römerstraße 51 eine Drogerie betrieb, Anlass, ihren Mann anzuregen, ein chemisches Hilfsmittel zur Arbeitserleichterung zu entwickeln. Dies gelang auf der Basis eines Gemisches aus den Mineralstoffen Kieselgur, Quarzmehl und Schwefelsäure. Durch Pressen dieses Gemisches zu einem Stein, der anschließend in eine säurefeste Bleifolie eingepackt wurde, entstand 1888 ein marktreifes Produkt unter dem Namen Vitrolin. Zur Anwendung musste der Stein im Kupferkessel zerbröselt und mit einem feuchten Lappen verrieben werden.

Der große Verkaufserfolg veranlasste Roth 1895 zur Gründung der Firma August Roth – Chemische Fabrik in Bad Ems. Da das ihm zur Verfügung stehende Kapital langfristig nicht ausreichte, organisierte er in den Folgejahren u. a. eine Partnerschaft mit dem chemisch-pharmazeutischen Unternehmen Dr. J. Trost, dessen Gebäude in der Koblenzer Straße 35 in Bad Ems auch zur Produktion von Vitrolin diente. Die Zusammenarbeit dauerte jedoch nur bis 1909, da eine schwere Krankheit Dr. Trost daran hinderte, die Geschäftsführung fortzusetzen. An seiner Stelle trat am 1. August 1912 Ingenieur Otto Roth, der Bruder von August Roth, als geschäftsführender Gesellschafter in die Firma ein.

0.2.Erster Weltkrieg und wirtschaftliche Schwierigkeiten

Das erste Fabrikgebäude[Bild: Erich Roth]

Da im Ersten Weltkrieg viele Kupferwaschkessel zur Herstellung von Kriegsmaterial beschlagnahmt wurden, war das Anwendungsgebiet von Vitrolin stark eingeschränkt. Um die Existenz der jungen Firma nicht zu gefährden, musste die Produktpalette erweitert werden. Dies geschah durch ein breites Angebot von Antimottenprodukten, die auch an das Militär verkauft werden konnten. Die Rohstoffbasis hierfür waren Naphthalin und Campher. Der Umgang mit diesen sehr feuergefährlichen und geruchsintensiven Stoffen erforderte besondere Vorsicht. Im Juni 1915 geriet ein Behälter mit Naphthalin in Brand und das Fabrikgebäude wurde schwer beschädigt. Die Produktion musste zwei Jahre lang in ein Nachbargebäude ausgelagert werden, bis zwei Jahre später wieder ein neues Gebäude in der Koblenzer Straße zur Verfügung stand.

Das neue Fabrikgebäude in der Koblenzer Straße[Bild: Erich Roth]

Die Nutzung der neuen Fabrik war nach dem Kriegsende jedoch nur von kurzer Dauer. Die Firma musste wegen der dramatisch steigenden Inflation, die 1923 ihren Höhepunkt erreichte, vorübergehend geschlossen werden. Im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der deutschen Währung schied der Firmengründer und Gesellschafter August Roth aus der Firma aus und Otto Roth verblieb als alleiniger geschäftsführender Gesellschafter.

V.r.n.l.: Otto Roth Sr., Otto Roth Jr., Adolf Back, Heinrich Glasmann, Karl Reifert, Karl Roth[Bild: Erich Roth]

Nach der Währungsreform ließen es die wirtschaftlichen Verhältnisse im besetzten Gebiet 1924 zu, den Betrieb wieder anlaufen zu lassen. Ein erster Wagon mit Vitrolin konnte beispielsweise im gleichen Jahr nach Berlin verschickt werden. In den Folgejahren traten die Söhne des Gründers, Dipl. Ing. Otto Roth jun. und Ing. Karl Roth, in die Firma ein und wurden 1930 auch Mitgesellschafter. Zur gleichen Zeit begann Heinrich Glasmann aus Bad Ems seine Ausbildung zum Industriekaufmann. Er wurde später zu einer wichtigen Führungspersönlichkeit des Unternehmens und bestimmte die Firmengeschicke als Prokurist und Vertriebsleiter bis zu seinem Ruhestand 1977 maßgeblich mit.

0.3.Das Unternehmen im Nationalsozialismus

Stoewer-PKW[Bild: Erich Roth]

Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und der daraus resultierende Zweite Weltkrieg beeinflusste auch die Chemische Fabrik Roth. So wurde die Belegschaft zu den üblichen Propagandaveranstaltungen und Parteiaufmärschen kommandiert. Maschinen und Fahrzeuge wurden beschlagnahmt und dem Kriegsdienst zugeführt. In einem Fall gelang es jedoch, einen PKW dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Der Betriebsschlosser F. Kaminski zerlegte ein Stoewer-Cabriolet in seine Einzelteile und versteckte es, sodass die Beamten nur noch die Karosserie als nutzlosen Torso vorfanden.

Aufgrund der Kriegswirtschaft und der stark verkleinerten Belegschaft war in den letzten Kriegsjahren nur noch ein Minimalbetrieb möglich. Das Firmengebäude diente daher auch zur Aufnahme von Ausgebombten und Flüchtlingen u.a. aus dem stark zerstörten Koblenz. Unter ihnen befand sich auch Peter Altmeier, später der erste Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz.

0.4.Das Unternehmen in der Nachkriegszeit

Nach dem Kriegsende verstarb im August 1945 der Mitgründer und geschäftsführende Gesellschafter Otto Roth. Seine Söhne Otto Roth jun. und Karl Roth übernahmen die Gesellschaftsanteile und die Geschäftsführung der Firma zu gleichen Teilen.

Vitrolin-Presse[Bild: Erich Roth]

Die unmittelbaren Nachkriegsjahre waren von Hunger und Mangelwirtschaft gekennzeichnet. Die Beschaffung von Rohstoffen war in dieser Zeit ein sehr großes Problem. In dieser Situation bewährte sich, dass die Beschlagnahmung des Stoewer-PKW verhindert worden war. So stand dem Unternehmen wieder ein betriebsbereites, wegen des Benzinmangels jedoch mit Holzgastechnik ausgestattetes Auto zur Verfügung. Damit bestand eine wichtige Grundlage, um das bewährte Verkaufsprogramm der Chemischen Fabrik Roth – jetzt noch im Wesentlichen bestehend aus Vitrolin und den Antimottenprodukten, deren Wirkstoffbasis Zug um Zug von Naphthalin auf das besser geeignete Paradichlorbenzol umgestellt wurde – in den sich langsam wieder entwickelnden Markt einzuführen. Besonders die Währungsreform 1948 setzte Wachstumsimpulse.

AMISA Giftgetreide[Bild: Erich Roth]

Neben der ökonomischen Erholung begünstigte eine Feldmäuseplage in der Landwirtschaft das Wachstum der Chemischen Werke Roth. Im Bereich der Schädlingsbekämpfung hatte das Unternehmen bisher einige Erfahrungen gesammelt, die nun zur Entwicklung und Herstellung von Giftgetreide genutzt werden konnten. Der Verkauf und die Ausbringung von mehreren Tausend Tonnen Amisia Giftgetreide in den 1950er Jahren schuf die finanziellen Möglichkeiten für Investitionen sowohl in die Entwicklung als auch in die Produktionstechnik weiterer Haushaltsreinigungsmittel. So avancierten u.a. WC- und Abflussreiniger später zum Kerngeschäft der Firma. Die Produktpalette erfuhr in dieser Zeit einen steigenden Bekanntheitsgrad über die Vorstellung auf bekannten Messen wie die ANUGA oder INDROFA in Köln. Schließlich wurden diese Messen auch genutzt, um 1958 ein Produkt zu präsentieren, das nach dem Gründungsprodukt Vitrolin wieder einen vollkommen neuen Markt schuf.

0.5.Expansion durch neue Produkte und Kooperationen

Erste Verpackung des HUI Backofenreinigers[Bild: Erich Roth]
Werbeplakat für die Marke HUI[Bild: Erich Roth]

Zu dieser Zeit war es üblich, viel zu Hause zu backen. Insbesondere Obstkuchen verursachten durch den einbrennenden Saft eine sehr stark haftende und nur mit hohem Aufwand zu beseitigende Verschmutzung des Backofens. Ein chemischer Backofenreiniger, den das Unternehmen entwickelt hatte, schuf hier Abhilfe. Er erhielt den Markennamen HUI, der für eine leichte und lockere Reinigung stehen sollte, als Ergebnis eines unter den Mitarbeiter:innen veranstalteten Wettbewerbs. Hierzu entwarf die Frankfurter Werbeagentur Günther Gröb, die auch die bekannte Waschmittelmarke REI kreiert hatte, ein Wort-Bildzeichen mit einer Eintragung in die Warenzeichenrolle des Deutschen Patentamtes. Die ebenfalls von Gröb erstmals in der Geschichte der Chemischen Fabrik Roth für ein Produkt initiierte Medienwerbung erzeugte für die Marke HUI und das Unternehmen einen unerwarteten Bekanntheitsschub, der auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinausreichte. Hinzu kamen Produktvorführungen durch Werbepersonal auf den Haushaltsmessen. Es entstanden Geschäftsbeziehungen u.a. nach Österreich und Italien, in die Benelux-Staaten sowie nach Namibia.

Messestand des Unternehmens[Bild: Erich Roth]

Parallel zu dieser Entwicklung vollzog sich im deutschen Handel eine gravierende Umstrukturierung. Die bisher den Wettbewerb hemmende Preisbindung entfiel und eine Änderung der Giftverordnung erlaubte auch den Verkauf von Haushaltsreinigungsmitteln im Lebensmitteleinzelhandel, der seinerseits mit der Einführung der Selbstbedienung begann. Die ersten Super- und Verbrauchermärkte, SB-Warenhäuser und Discounter entstanden. Der Verkauf des HUI-Backofenreinigers, der beginnende Export und die neue Handelsstruktur im Inland führten zu einem bisher nicht gekannten Wachstumsschub für das Unternehmen. 1963 erzielte die Chemische Fabrik Roth einen Jahresumsatz von 3 Millionen Mark.

Erster Bauabschnitt: Neubau der Fabrik[Bild: Erich Roth]

Diese rasante Entwicklung hatte eine Anpassung des Vertriebs und der Produktion zur Folge. Der neu organisierte Lebensmitteleinzelhandel benötigte andere Vertriebsleistungen als die bisher überwiegend bedienten Drogerien und Seifengeschäfte. Die neuen Anforderungen konnten von den bisher eingesetzten freien Handelsvertretern nicht erfüllt werden. Sie wurden daher durch angestellte Reisende ersetzt, welche die Kundenbetreuung und teilweise auch die Belieferung übernahmen. In der Produktion und Lagerung entstanden erhebliche Engpässe, die eine Verlegung des Produktionsstandortes nötig machten. Im Mai 1968 konnte schließlich mit dem Bau eines neuen Betriebsgebäudes auf dem ehemaligen Bergwerksgelände der Pfingstwiese in Bad Ems begonnen werden. Für dieses wurden auch einige neue Maschinen und Geräte angeschafft.

Erste Verpackung des Edelstahlreinigers[Bild: Erich Roth]

Während der Wachstumsphase des Unternehmens in den 1960er Jahren studierte Erich Roth, Sohn von Otto Roth jun., Chemie an der Technischen Hochschule Stuttgart. Ihm gelang während seiner Studienzeit die Entwicklung eines Spezialreinigungsmittels für die neuen Edelstahlspülen. Mit der Vorstellung dieses Produktes auf der INDROFA eröffnete die Firma erneut einen Markt, der in den folgenden Jahrzehnten aufgrund der großen Verbreitung des Edelstahls im Haushalt stark anwuchs. Dieser Erfolg – gepaart mit der persönlichen Förderung durch den Prokuristen Heinrich Glasmann – war eine wesentliche Motivation für Erich Roth, nach dem Abschluss seines Studiums als Dipl. Chemiker 1965, zunächst als Laborleiter in die Chemische Fabrik Roth einzutreten.

Nach fünf Jahren Berufserfahrung und diversen Weiterbildungen übernahm er von den Gesellschaftern Otto Roth jun. und Karl Roth, die in den Ruhestand gingen, die Geschäftsführung. Unterstützung fand der junge Geschäftsführer durch die Berufung eines aus drei Personen bestehenden Beirats. Zwei Mitglieder bestimmten jeweils die beiden Gesellschafterfamilien. Auf eine dritte vorgeschlagene Person mussten sich die Gesellschafter einigen.

Produke der Marke HUI, mittig der Reiniger Wannenwichtel[Bild: Erich Roth]

Ein neues Produkt, dessen Entwicklung Erich Roth noch als Laborleiter begonnen hatte, erreichte nun seine Marktreife. Es trug dem inzwischen steigenden Hygienebewusstsein der Menschen und der Aufwertung des Badezimmers in den Haushalten Rechnung. HUI Wannenwichtel diente der Beseitigung der Kalkseifenränder, die nach dem Baden an den Wänden der Wanne auftraten, und konnte auch zur Reinigung anderer Verschmutzungen auf den Oberflächen des Badezimmers verwendet werden. Die Wahl des Produktnamens und die außergewöhnliche Gestaltung der Verpackung, die an die Heinzelmännchen von Köln erinnern sollte, verschaffte dem Produkt im breiten Angebot der Reinigungsmittel einen Wiedererkennungswert. Das erfolgreiche Marketing und die Produktqualität führten zu dem bis dato größten Verkaufserfolg. Der Umsatz stieg auf 16 Millionen Mark. Auch diese Innovation führte zur Entstehung eines vollkommen neuen Marktsegmentes.

Der wirtschaftliche Erfolg machte in den Jahren 1971 bis 1973 umfassende Investitionen in den Bereichen Produktion und Verwaltung möglich. Um die weiter steigende Nachfrage bedienen zu können, war die Anschaffung moderner Abfüllmaschinen für Pulver und Flüssigkeiten erforderlich. In der Verwaltung generierte die Einführung einer Kostendeckungsbeitragsrechnung wichtige Daten für die Verkaufsplanung und das Marketinginformationssystem. Die Verkaufserfolge ermöglichten zudem die Schaltung von Werbung im Radio, Fernsehen und in Printmedien.

Abfüllanlage für Flüssigprodukte[Bild: Erich Roth]

Der dadurch gestiegene Bekanntheitsgrad der Firma führte zu zahlreichen Kooperationen mit anderen Unternehmen. So konnte mit der amerikanischen Firma Church & Wright ein Lizenzvertrag über die Herstellung eines Backofenreinigers, der sich auch für die Anwendung auf Aluminiumblechen eignete, abgeschlossen werden. Die Zusammenarbeit erwies sich aufgrund von Schwierigkeiten in der Materialbeschaffung allerdings als wenig erfolgreich. Eine weitere Zusammenarbeit in der Produktion konnte mit der Firma Luhns in Wuppertal vereinbart werden. Luhns produzierte mit Roth einen Toilettenduftstein, den die Unternehmen auch an Aldi verkauften. Als Teil der Vereinbarung füllte Roth für Luhns einen pulverförmigen WC-Reiniger ab.

Im Jahr 1974 kaufte die Chemische Fabrik Roth das seit einigen Jahrzehnten in Bad Ems ansässige, kleinere Pharmaunternehmen Dr. Wachter & Groß. Neben Arzneimitteln gehörten auch Inhalationspräparate, die im Bad Emser Kurbetrieb Anwendung fanden, zum Verkaufsprogramm. Da mit dem Kurstadt-Image von Bad Ems für die neuen Produkte geworben werden sollte, wurde das neu erworbene Unternehmen in Dr. Wachter Kurmittelgesellschaft Bad Ems umbenannt. Trotz erheblicher Investitionen gelang es in den Folgejahren jedoch nicht, das Marketing- und Verkaufskonzept für die Produkte von Dr. Wachter erfolgreich umzusetzen. Die Gründe lagen in einer so nicht erwarteten Novellierung des Arzneimittelgesetzes. Außerdem hatten die Mitarbeiter:innen im Außendienst, die bis dahin mit dem Verkauf von Reinigungs- und Pflegemittel für den Haushalt beschäftigt waren, zusätzlich die neuen Produkte zu vertreiben. Um die Liquidität der Muttergesellschaft nicht weiter zu belasten und das neue Arzneimittelgesetz nicht zu verletzen, musste das Arzneimittel-Sortiment schließlich weiterverkauft und der verbleibende Firmenmantel später liquidiert werden.

Verpackungsautomat für Duftsteine[Bild: Erich Roth]

1973 nahm erstmals ein von der Belegschaft gewählter Betriebsrat seine Arbeit auf. Unter dessen Mitwirkung wurde die Einführung gleitender Arbeitszeit, eine betriebliche Altersversorgung für langjährige Mitarbeiter:innen sowie eine Gewinnbeteiligung vereinbart. Technische Neuerungen führten im Laufe der Zeit zu neuen Anforderungen an die Beschäftigten chemischer Unternehmen. Da die von der Industrie- und Handelskammer ausgearbeiteten Ausbildungsanforderungen von kleineren mittelständigen Firmen allein nicht vollständig abgedeckt werden konnten, schlossen sich die Chemische Fabrik Roth und vier weitere Firmen aus der Region zu einem Verbund zusammen. Die Auszubildenden durchliefen alle fünf Unternehmen, von denen jedes bestimmte Aspekte der Berufsausbildung anbot. Dieses Konzept führte zum neuen Beruf des „Chemikanten“, der durch die fünf Unternehmen geschaffen wurde.

Zweiter Bauabschnitt: Anbau der Lagerhalle[Bild: Erich Roth]

Da sich das Ende der 1960er Jahre errichtete Fabrikgebäude als zu klein erwies, musste das Gelände 1976 durch Anbau eines Büroflügels und einer Lagerhalle erweitert werden. In dieser Zeit zogen sich altersbedingt die Gesellschafter Otto und Karl Roth weiter aus dem Unternehmen zurück und übertrugen ihre Firmenanteile auf ihre Kinder Erich, Rolf und Inge Roth. Ebenso vollzog sich im Marketing- und Vertriebsbereich ein gravierender Personalwechsel. Der Prokurist und Vertriebsleiter Heinrich Glasmann, der die Firma maßgeblich mitgeprägt hatte, verabschiedete sich nach 48 Berufsjahren in den Ruhestand. Anschließend arbeitete er einige Jahre im Beirat des Unternehmens. Gerhard Hupe, der seine Ausbildung und mehrjährige Berufserfahrung mit Wasch- und Reinigungsmitteln bei Unilever erworben hatte, ersetzte ihn.

Aus heutiger Sicht waren die 1970er Jahre wohl der erfolgreichste Zeitabschnitt in der Unternehmensgeschichte. Der Abschluss des Jahrzehnts wurde im Marmorsaal des Kursaalgebäudes in Bad Ems gefeiert. Eingeladen waren die Belegschaft des Firmensitzes, die Mitarbeiter:innen des Vertriebes sowie alle europäischen Exportpartner.

0.6.Schwierige Jahre

In den 1980er Jahren vollzog sich schließlich ein tiefgreifender Wandel im Einzelhandel, der bereits Ende der 1970er Jahre zu beobachten war. Die Aufhebung der gesetzlichen Preisbindung und das Entstehen zahlreicher neuer Supermärkte und Discounter führte zu einem starken Wettbewerb, der in zahlreiche Insolvenzen mittelständischer Unternehmen mündete. Als Reaktion darauf begannen sich viele Handelsunternehmen durch Fusionen oder Übernahmen zu größeren Einheiten zusammenzuschließen. Dies hatte zur Konsequenz, dass den mittelständischen Lieferanten Geschäftspartner mit einer wachsenden Marktmacht gegenüberstanden. Der Wettbewerb wurde durch die Einführung besonders günstiger Handelseigenmarken weiter verschärft. Auch die Chemische Fabrik Roth war von dieser Entwicklung betroffen. Um sich der neuen Situation anzupassen, erwies sich u.a. die Übernahme von Lohnproduktion, beispielsweise für die eigentlich ungeliebten Handelseigenmarken, als sinnvoll.

Ein Polizist in Schutzkleidung bringt während des Sevesounglücks Warnschilder an[Bild: public domain]

Parallel zu dieser Entwicklung stieg das Umweltbewusstsein in der Bundesrepublik. Ausgelöst durch zwei Chemieunfälle in Seveso (Italien) und Bophal (Indien) geriet die chemische Industrie in den Mittelpunkt einer öffentlichen Debatte, was zu sinkender Nachfrage nach chemischen Reinigungs- und Haushaltsprodukten führte. Die Chemische Fabrik Roth stieg als Reaktion neben massiven Kosteneinsparungsmaßnahmen in den Großverbraucherbereich ein und erweiterte das Sortiment um Produkte zur Schuhpflege. Dazu diente die Übernahme der süddeutschen Firma Chemico. Darüber hinaus schloss man mit dem Unternehmen Oregon aus München einen Lizenzvertrag zur Herstellung eines Schuhpflegemittels unter dem Namen Picco Bello. Beide Maßnahmen führten nicht zum gewünschten Erfolg. Der neuen Geschäftsleitung von Chemico konnten nach kurzer Zeit betrügerische Praktiken nachgewiesen werden. Da eine Integration in die Muttergesellschaft zu aufwendig gewesen wäre, kam es zur Liquidation des Unternehmens. Das Verhältnis zur Firma Oregon erwies sich im Laufe der Zeit als wenig kooperativ. Es erfolgte daher die Kündigung des Lizenzvertrages.

Das Erstarken der Umweltbewegung in den 1980er Jahren und eine erhöhte Sensibilisierung für ökologische Themen wirkte sich negativ auf den Absatz der Chemischen Fabrik Roth aus. Außerdem führte die unsachgemäße Handhabung chemischer Reinigungsprodukte im Haushalt zu einem Diskurs, in dem der Einsatz von Schmierseife, Scheuersand und Essig nahegelegt wurde, um die vermeintlich schädliche „Chemie“ im Haushalt zu ersetzen.

Ähnlich dem Einzelhandel kam es auch auf industrieller Seite zunehmend zu Fusionen und Übernahmen. So wurden mehrere Angebote an die Chemische Fabrik Roth herangetragen. Diese lehnten die Gesellschafter allerdings zunächst ab. 1983 jährte sich zum 25. Mal die Zusammenarbeit mit diversen europäischen Geschäftspartnern, die nach der Einführung des HUI Backofenreinigers entstanden war. Der Export ins Ausland machte in dieser Zeit ca. 20% des Gesamtumsatzes aus.

Etikett des Edelstahlreinigers für den italienischen Markt[Bild: Erich Roth]

Aufgrund der Krise in der Chemiebranche musste Roth 1984 die Produktionskooperation mit Luhns, die inzwischen ein Volumen von jährlich acht Millionen Stück Duftsteinen umfasste, beenden – das Partnerunternehmen war in eine betriebswirtschaftlich kritische Situation geraten. Hinzu kam die Umsetzung einer früheren Vereinbarung mit einem italienischen Partner, aus Währungsgründen einen Teil der Produktion der italienischen Ausführung des Edelstahlreinigers nach Italien zu verlegen. Beide Maßnahmen führten zu einer starken finanziellen Belastung von Roth, der mit Sparmaßnahmen und betrieblichen Kündigungen begegnet wurde. Bis 1986 blieb die Situation des Unternehmens schwierig.

Der bereits beschriebene Vertrauensverlust in die chemische Industrie fand schließlich im Zuge eines Großbrands einer Lagerhalle der Firma Sandoz in Basel im Jahr 1986 seinen Höhepunkt. Das mit Schadstoffen belastete Löschwasser floss in den Rhein und führte zu einer großen Umweltkatastrophe. Die anschließende gesellschaftliche Debatte führte zu einem Umdenken in der Branche. So entwickelte der Verband der Chemischen Industrie (VCI) Umweltleitlinien, die höhere Sicherheitsstandards in Produktion, Anwendung und Entsorgung zum Ziel hatten. Um die Aufklärungsarbeit über konsumnahe Chemieprodukte zu verbessern, setzte sich der Industrieverband Putz- und Pflegemittel (IPP) ein, zu dessen Vorsitzenden der Geschäftsführer der Chemischen Fabriken Roth, Erich Roth, gewählt worden war. In den Unternehmen setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass neben Produktentwicklung- und Marketingstrategien zukünftig auch Umweltverträglichkeit und der Verbraucherschutz berücksichtigt werden müssen.

Diese Entwicklungen veranlassten Geschäftsleitung und Beirat zu einer umfassenden Neuausrichtung der Unternehmensstrategie. Die Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Glendining & Lehning aus Frankfurt am Main ergab, dass die Marke HUI unter den Konsument:innen ein hohes Ansehen genoss. Allerdings zeigten sich erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten in der Außendienst-, Konditions- und Sortimentsgestaltung. Um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden, beschlossen Gesellschafter und Beirat, die Führungsverantwortung für das Unternehmen in einen betriebswirtschaftlichen und einen technischen Bereich aufzuteilen.

Im Zuge der Umstrukturierung wurde Dipl. Volkswirt Herbert Walburg als Verantwortlicher für den Verwaltungs-, Marketing- und Vertriebsbereich eingestellt. Walburg war bereits u.a. bei Unilever für ein ähnliches Aufgabenfeld zuständig gewesen. Gemäß einer neuen Geschäftsordnung blieb Erich Roth für Technik, Produktion, Logistik, Produktentwicklung und Qualitätskontrolle zuständig und vertrat die Firma als Sprecher der Geschäftsleitung nach außen.

Küchen- und Wannenwichtel der Citro-Serie[Bild: Erich Roth]

Die neue Geschäftsleitung setzte ab 1987 die durch die Unternehmensberatung nahegelegten Veränderungen um. Die Sortimentsgestaltung und Produktentwicklung richteten sich stärker am Konzept der Nachhaltigkeit aus. Außerdem wurde der Außendienst umorganisiert, eine Kooperation im Großverbraucherbereich angestoßen und eine neue, umweltschonende Citro-Serie entwickelt. Der Firmenname wurde in Roth GmbH geändert, um sich vom negativen Image der chemischen Industrie abzugrenzen. Da während der Krisensituation Umsätze und Erträge branchenweit stark zurückgegangen waren, wurden alle Änderungen durch Sparmaßnahmen begleitet.

Nach einem Verlustjahr wies die Bilanz 1988 wieder einen Gewinn aus. Diesen Erfolg erlebten die Seniorgesellschafter Karl und Otto Roth nicht mehr mit. Sie verstarben im Dezember 1986 bzw. März 1987. Durch die Erbregelung gingen alle Stimmrechte auf die Kinder Rolf, Inge und Erich Roth über.

Die Erfahrungen aus der oben geschilderten Krise, eine weiter wachsende Marktmacht der Handelskonzerne und die begrenzten Möglichkeiten des mittelständischen Produzenten führten zur Prüfung des bisherigen Konzeptes der Eigenständigkeit des Unternehmens. Familieninterne Beratungen, in die die Gesellschafter auch die Ausbildung und Lebensplanung der 4. Generation Roth einbezogen, ergaben, dass zukünftige Fusions- oder Übernahmeangebote eingehend geprüft werden sollten.

Diese neue Beschlusslage bedeutete keine Einschränkung oder Änderung der eingeleiteten Konsolidierungsmaßnahmen. Umfangreiche Investitionen bezogen sich auf den Umweltschutz, die Sicherheit des Fabrikgebäudes, der Produktion und der Lagerung von Chemikalien.

HUI Spültabs[Bild: Erich Roth]

Mit dem Ziel, eine exaktere Dosierung sowie eine Verringerung des Verpackungsaufwands zu erreichen, entstand die Idee, Reinigungsmittel in Form einer in Wasser löslichen Tablette – zunächst für die Anwendung in der Geschirrspülmaschine – zu entwickeln. Dazu kooperierte man mit dem dänischen Unternehmen Cleantabs, das Tabletten zur Fußbodenreinigung produzierte. 1988 begann unter der Marke HUI Spültabs die Einführung der ersten Spülmitteltablette in der Bundesrepublik. [Anm. 1] Damit hatte die Roth GmbH zum vierten Mal in ihrer Geschichte einen neuen Markt erschlossen.

0.7.Übernahme durch Globol

Im gleichen Jahr erreichte Roth ein Übernahmeangebot der Globol Werke GmbH aus Neuburg an der Donau, ein Tochterunternehmen der British Patrol (BP) Deutschland. Globol war hauptsächlich Lohnproduzent diverser Konsumartikel, verfügte allerdings auch über umfangreiche Erfahrungen in der Herstellung von Haushaltsinsektiziden. Beide Unternehmen schienen sich gut zu ergänzen. Der Vertrieb der Haushaltsinsektizide von Globol sollte mithilfe des gut vernetzten Außendienstes von Roth verbessert werden. Die von BP Deutschland beauftragte Unternehmensberatung Roland Berger empfahl im Sommer 1988 der Globol Werke GmbH als Mehrheitsgesellschafter bei der Roth GmbH einzutreten. Ende 1988 erwarb Globol schließlich 75% der Anteile an Roth. Erich Roth verblieb als Minderheitsgesellschafter und Geschäftsführer mit einem Anteil von 25% im Unternehmen. Somit schied der Familienzweig Karl Roth aus der Eigentümergemeinschaft aus.

Mischanlage für die Spültabs[Bild: Erich Roth]

Im Zuge der Übernahme und als Teil einer neuen gemeinsamen Marketing- und Vertriebsstrategie gründeten die beiden Unternehmen auf der Basis des bisherigen Roth Außendienstes eine neue Vertriebsgesellschaft mit dem Ziel, die beiden Produktsortimente im Handel gemeinsam einzulisten. Im Rahmen des Roland Berger Konzepts sollte die Vertriebsgesellschaft auf Grund der günstigen geographischen Lage im Zentrum der Bundesrepublik Deutschland, des bereits in Koblenz für die HUI-Produkte bestehenden Zentrallagers und eines zweckmäßigerweise engen Kontakts zur Produktion ihren Sitz bei der Roth GmbH in Bad Ems haben. Darüber hinaus sah das Konzept noch folgende Schwerpunkte vor: Beide Firmen sollten weiter als Produktionsbetriebe an den bisherigen Standorten Bad Ems und Neuburg a.d. Donau selbstständig geführt werden und eigene Bilanzen erstellen. Um Doppeltätigkeiten zu vermeiden, sollte der Verwaltungsaufwand in beiden Firmen entsprechend angepasst und zusätzliche Synergien durch gemeinsamen Einkauf, Austausch von Personal und Knowhow freigesetzt werden.

Presse für die Spültabs[Bild: Erich Roth]

Im Rahmen der neuen Firmenpartnerschaft wurden von 1989 bis 1992 umfangreiche Integrations- und Anpassungsmaßnahmen umgesetzt. Investitionen in eine neue Produktionslinie ermöglichten es Roth, Spültabs und WC-Duftsteine zukünftig selbst herzustellen. Der Umsatz entwickelte sich positiv, was auch an dem Verkaufserfolg der Spültabs lag. Um das Öffentlichkeitsbild zu verbessern und der Bevölkerung einen Blick hinter die Kulissen der chemischen Industrie zu ermöglichen, veranstaltete der Verband der Chemischen Industrie im September 1990 einen Tag der offenen Tür, an dem sich auch Roth beteiligte. Über 1.000 Bürger:innen aus Bad Ems informierten sich über Sortiment, Herstellung und Produktionssicherheit im Unternehmen.

Als ein folgenschwerer Schritt erwies sich die Entscheidung der Globol Werke, den Sitz der Vertriebsgesellschaft von Bad Ems nach Neuburg zu verlagern. Daraus resultierende Schwierigkeiten in der Koordination von Marketing, Produktion und Vertrieb sowie eine fehlende Anpassung des Marketinginformationssystems an die neuen Verhältnisse führten dazu, dass Herbert Walburg als Leiter der neuen Vertriebsgesellschaft von seinem Posten zurücktrat. Die von seinem Nachfolger konzipierte Marketing- und Vertriebsstrategie, die u.a. eine Einschränkung der Aktivitäten für das bisher erfolgreiche Produkt Spültabs vorsah, war dann weniger erfolgreich und führte zum Verlust von Marktanteilen und Umsatzrückgang.

Ein Strategiewechsel bei BP führte 1992 zur Trennung von der Tochtergesellschaft Globol und somit auch von Roth. Im gleichen Jahr übernahm Jeyes Ltd. aus dem englischen Thetford den Firmenverbund aus Globol und Roth. Im Rahmen der neuen Kooperation sollten die Haushaltsdesinfektionsprodukte von Jeyes auf dem europäischen Kontinent und die Insektizide von Globol auf dem englischen Markt vertrieben werden. Diese Strategie, gepaart mit den bereits beschriebenen Entwicklungen, veranlasste Erich Roth dazu, seine Gesellschaftsanteile abzugeben. Er blieb jedoch Geschäftsführer der Roth GmbH.

Unternehmensgelände 1993[Bild: Erich Roth]

Am 26. Mai 1993 verkündete der Geschäftsführer von Globol überraschend den Entschluss der Geschäftsleitung von Jeyes, den Standort in Bad Ems bis zum Jahresende zu schließen. Die Produktion des gesamten Sortiments sollte in Neuburg konzentriert werden. Der Firmenmantel der Roth GmbH sollte zur Abwicklung eines Sozialplans und zur Deckung von Pensionsverpflichtungen sowie für die Herstellung von Eigenmarken bis auf Weiteres erhalten bleiben. Die Beschäftigten der Roth GmbH reagierten betroffen und überrascht auf diese Nachricht. Eine der Jeyes-Geschäftsleitung noch vorgelegte ausführliche Dokumentation, die u.a. Hinweise auf das Roland Berger Gutachten, das in Neuburg total fehlende Produktions-Knowhow für Reinigungsmittel, das dort nicht vorhandene Fachpersonal, den geographischen, technologischen und verkehrstechnischen Vorteil des Standorts Bad Ems, den hier erreichten hohen Sicherheitsstandard, den aufwendigen Umzug und die zu erwartende Problematik der späteren Gebäudeverwertung aufzeigte, konnte die Entwicklung nicht mehr verhindern. Nach der Vermittlung einiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in andere Unternehmen der Region und der Umsetzung eines Sozialplans erhielten 83 Beschäftigte zum Jahresende ihre Entlassungspapiere.

Mit einer Abschiedsveranstaltung am 21.12.1993 im Alten Rathaus von Dausenau endete die fast hundertjährige Geschichte der Chemischen Fabrik Roth in Bad Ems; die kreierten neuen Marktsegmente der Haushaltsreinigungs- und Pflegeprodukte blieben jedoch bis heute erhalten.

Anmerkungen:

  1. Klaus Ruppersberg, Wolfgang Proske: Spülmaschinentabs. In: Chemie in unserer Zeit. Band 53, Nr. 3, S. 180–186, doi:10.1002/ciuz.201800816. Zurück